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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte
Autoren: Felix Thijssen
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…«
    »Wir haben mehrere Gästezimmer.«
    Er ging ihr voraus in die Diele, öffnete die Tür zum Wohnzimmer, schaltete das Licht ein und zeigte auf das Telefon neben dem Sofa. »Du kannst von hier aus zu Hause anrufen. Ich bin in meinem Arbeitszimmer.« Er wies mit einem Nicken auf die Tür gegenüber. »Sag Bescheid, wenn du fertig bist, dann bringe ich dich nach oben.«
    Runing ließ die Tür seines Arbeitszimmers offen und setzte sich an seinen Schreibtisch, um den Anrufbeantworter abzuhören. Ein belgischer Manager bat um Entschuldigung für das Ausbleiben eines Umbauplans für sein Hotel in den Ardennen und versprach, ihn bis nächste Woche im Hauptsitz der Firma abzuliefern. Zwei Anrufer hatten aufgelegt, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, was ungewöhnlich war. Zweimal Heleen, dachte er. Vielleicht.
    Er ging die Post durch, die Gwenaëlle auf seinen Schreibtisch gelegt hatte. Rechnungen, Reklame. Ein handbeschrifteter Umschlag für Heleen war dabei, ohne Absender, mit dem Poststempel von Ravenswaaij. Er kannte niemanden in Ravenswaaij. Sicher nicht von einem Patienten, sie gab ihre Privatadresse nie an ihre Patienten weiter. Es war die Handschrift einer Frau. Er fragte sich, warum er sich Gedanken darüber machte, als käme nie Post für Heleen.
    »Ich bin fertig.«
    Das Mädchen stand in der Tür.
    Sie schaute ins Arbeitszimmer hinein, so wie sie auch schon das Wohnzimmer betrachtet hatte, voller Bewunderung. Alles hier strahlte Wohlstand aus, doch er begriff, dass es vor allem die Größe der Räume sein musste, die sie beeindruckte. Viel Platz war gleichbedeutend mit Reichtum.
    Er ging ihr voraus nach oben, zeigte im Vorbeigehen auf das eheliche Schlafzimmer und brachte sie zu einem Gästezimmer im hinteren Teil des Hauses. »Dies hier hat ein eigenes Bad.«
    Ihm fiel ein, dass sie nichts bei sich hatte. Er bat sie zu warten und holte einen Bademantel und Nachtwäsche aus Lilys Zimmer. Als er zurückkehrte, hatte das Mädchen das Licht eingeschaltet, stand in der Tür zum Badezimmer und betrachtete das gekachelte Interieur mit den Spiegeln, den schneeweißen Handtüchern und Toilettenartikeln für unerwartete Gäste.
    Er legte die Nachtwäsche auf das Bett. »Im Badezimmer findest du alles, was du brauchst«, sagte er. »Du kannst gerne ein Bad nehmen, wenn du möchtest.«
    »Vielen Dank.« Sie drehte sich um und fragte verlegen: »Wo ist denn Ihre Frau?«
    »Bei ihren Eltern in Bilthoven. Lily ist bei ihr. Jennifer studiert in Utrecht, sie hat dort ein Zimmer.«
    »Es tut mir Leid, wenn es meinetwegen Probleme gegeben hat.«
    »Es wäre besser gewesen, wenn wir beide uns erst einmal allein getroffen hätten. Woher hattest du eigentlich meine Privatadresse?«
    »Aus dem Telefonbuch. Leonoor wusste, dass Sie bei Culemborg wohnen.«
    Er fragte nicht, woher Leonoor das wusste, und sagte: »Wir frühstücken normalerweise um acht Uhr, unten in der Küche. Gute Nacht.«
    Es folgte ein unbehaglicher Moment, in dem sie ihn weiterhin unverwandt anschaute, die Arme rechts und links schlaff herunterhängend. In ihren Augen lag etwas Trauriges, und das Misstrauen, dass er eben noch darin gelesen hatte, war verschwunden. »Gute Nacht«, sagte sie dann und blieb regungslos stehen, als er das Zimmer verließ und die Tür hinter sich zuzog.
    Runing ging zurück nach unten. Das Mädchen hatte im Wohnzimmer das Licht brennen lassen.
    Er ließ sich auf das Sofa sinken, nahm den Hörer vom Apparat auf dem Beistelltisch und drückte die Wahlwiederholungstaste.
    Eine tiefe Stimme sagte: »Hallo?«
    Runing konnte Leute nicht leiden, die sich so meldeten. Er wusste, dass das in Frankreich bis heute so Sitte war. Jedes Jahr verschwendeten die Franzosen Millionen an Telefonkosten damit, die Identität ihrer Gesprächspartner festzustellen. »Otto Runing«, sagte er kurz angebunden. »Wer ist am Apparat?«
    »Leonoor Brasma.«
    »Ich muss so bald wie möglich mit Ihnen reden, um ein paar Dinge klarzustellen«, sagte er. »Wann und wo überlasse ich Ihnen.«
    Es blieb zunächst still in der Leitung, und er hörte ein Geräusch, als bliese sie Zigarettenrauch aus. »Was gäbe es denn klarzustellen?«, fragte sie.
    »Ich bedauere, dass Charlotte ihre Mutter verloren hat, aber sie ist nicht meine Tochter, und das kann ich jederzeit beweisen. Ich bin nicht für sie verantwortlich und ihr gegenüber zu nichts verpflichtet.«
    »Das würde mich wundern«, erwiderte Leonoor.
    »Aber gewiss nicht übermäßig.« Runing hatte vorgehabt,
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