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Champagner und Stilettos

Champagner und Stilettos

Titel: Champagner und Stilettos
Autoren: Lauren Weisberger
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wurde es still.
    Brooke kannte den Song aus ihrer kurzen, aber heftigen Leonard-Cohen-Phase. Schon da hatte sie ihn gemocht, doch solche Schauer wie jetzt waren ihr dabei noch nie über den Rücken gelaufen. Sie sah sich um. Spürten die anderen das auch? Julians Hände glitten schwerelos über die Tasten, die Intensität, die er jedem Wort verlieh, war schier unglaublich. Erst als er das letzte, langgezogene »Hallelujah« raunte, reagierten die Zuhörer – brachen in begeisterten Applaus aus, pfiffen und johlten und sprangen von den Stühlen auf. Julian machte ein verlegenes Gesicht, deutete eine Verbeugung an und wollte zu seinem Barhocker zurückschlurfen.
    »Wahnsinn, ist der gut«, seufzte ein junges Mädchen ihrem Freund zu und fixierte den Klavierspieler mit hungrigem Blick.
    »Zugabe!«, rief eine elegante Dame, die begeistert die Hand ihres Ehemanns drückte. Der Mann nickte und ließ den gleichen Ruf hören. Das Johlen der Menge wurde immer lauter, und bald verlangten alle nach einem weiteren Song.
    Die Barfrau packte Julian bei der Hand und zog ihn wieder vors Mikro. »Ja, da seid ihr von den Socken, Leute, was?« Sie strahlte vor Stolz auf ihre Entdeckung. »Vielleicht kriegen wir ihn ja dazu, uns noch was zu singen?«
    Brooke drehte sich zu Nola um, so begeistert wie lange nicht mehr. »Glaubst du, er spielt noch was? Schon irre, da sitzt ein Unbekannter an irgendeinem Sonntagabend im Publikum, um sich eine Band anzuhören – und kann selber derartig toll singen!«
    Nola lächelte ihr zu und beugte sich vor, um den Lärm der Menge zu übertönen. »Stimmt, er kann was. Schade, dass er so scheiße aussieht.«
    Brooke fühlte sich persönlich gekränkt. »Wieso denn? Mir gefällt dieser Gammellook irgendwie. Und mit der Stimme wird er bestimmt eines Tages ein Star.«
    »Keine Chance. Er hat Talent, aber das haben Millionen andere auch, die mehr aus sich rausgehen und besser aussehen.«
    »Er ist doch ganz sexy«, versetzte Brooke empört.
    »East Village sexy, vielleicht. Nicht Rockstar sexy.«
    Ehe sie sich zu Julians Verteidigung aufschwingen konnte, kehrte er ans Klavier zurück und begann wieder zu spielen. Diesmal war es eine Coverversion von Marvin Gayes »Let’s Get It On«, und wieder schaffte er es auf irgendeine Weise, noch besser als das Original zu klingen – die Stimme dunkler, samtiger, der Rhythmus ein wenig langsamer, im Gesicht ein Ausdruck tiefster Sammlung. Brooke war so versunken, dass sie kaum merkte, dass ihre Freunde ihr Geplauder wieder aufgenommen hatten, während das versprochene Freibier an ihrem Tisch die Runde machte. Sie schenkten sich ein, tranken, schenkten sich nach, nur Brooke konnte die Augen nicht von dem verstrubbelten Klavierspieler abwenden. Als er zwanzig Minuten später den Club verließ, mit einem letzten Kopfnicken und dem Hauch eines Lächelns für sein begeistertes Publikum, erwog Brooke ernsthaft, ihm zu folgen. So etwas hatte sie noch nie getan, aber es fühlte sich an wie das einzig Richtige.
    »Soll ich ihm hinterhergehen?«, fragte sie alle am Tisch.
    »Wem?«, fragte Nola.
    »Julian natürlich!« Wieso merkte eigentlich keiner, dass er gerade im Begriff war, aus ihrem Leben zu verschwinden?
    »Julian, der Piano Man ?«, grinste Benny.
    Nola verdrehte die Augen und kippte einen Schluck Bier. »Was hast du vor? Ihm nachrennen und erklären, du könntest über seine Obdachlosigkeit hinwegsehen, solange er dich mit seinen holden Weisen bezirzt?«
    Benny fing an zu singen: » Well, it’s nine o’clock on a Sat-, nein, Sunday, the regular crowd shuffles in … «
    » There’s a scruffy man sitting next to me, making love to our friend Brooke «, fiel Nola lachend ein. Sie stießen klirrend mit den Biergläsern an.
    »Sehr witzig«, sagte Brooke und stand auf.
    »He, was soll das? Du willst ihm doch nicht wirklich nachlaufen? Benny, geh lieber mit, nicht dass sich der Piano Man als Serienkiller entpuppt!«
    »Ich lauf ihm nicht nach«, sagte Brooke. Aber sie ging an die Bar, und nachdem sie die Fingernägel in die Handfläche gegraben und sich fünfmal umentschieden hatte, raffte sie all ihren Mut zusammen und fragte die Barfrau, ob sie irgendetwas über den Mann am Klavier wisse.
    Die Frau blickte kaum von den Mojitos auf, die sie gerade mixte. »Ich hab ihn schon öfters hier gesehen, wenn Blues- oder Rockbands spielen, aber er redet nie mit jemandem. Immer allein, falls du das wissen wolltest …«
    »Nein, nein, äh … ich war nur neugierig«,
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