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Cathérine de Montsalvy

Titel: Cathérine de Montsalvy
Autoren: Benzoni Juliette
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abwartend. Der blonde Normanne beeindruckte es durch seine ungeheuren Kräfte, und das Kind behandelte ihn auf seine Weise. Anders ausgedrückt: Es ließ an ihm keine seiner Launen aus, die einzig und allein den vier Frauen vorbehalten waren. Bei Gauthier war man unter Männern, und Michel fand immer ein breites Lächeln für seinen riesenhaften Freund.
    Ihren Sohn zu verlassen bedeutete für Cathérine ein schweres Opfer. Die ganze Liebe, die sie dem Vater nicht mehr geben konnte, hatte sie auf ihn übertragen und umgab ihn mit einer unruhigen, stets wachsamen Zärtlichkeit. Sie ging mit ihm um wie der Geizhals mit seinen Schätzen. Er war die einzigartige, wunderbare Erinnerung an den Abwesenden, das Kind, das nie Brüder oder Schwestern haben würde. Er war der Letzte der Montsalvy. Ganz gleich um welchen Preis, mußte man ihm eine Zukunft bauen, die seiner Vorfahren und besonders seines Vaters würdig war. Und aus diesem Grunde überwachte die junge Frau, tapfer ihre Tränen unterdrückend, die Vorbereitungen der Trennung von ihrem Sohn und seiner Großmutter. Aber wie schwer war es, nicht zu weinen, während man die kleinen Kleidungsstücke, die zum größten Teil das Werk ihrer sorgsamen Hände waren, behutsam in einem Lederkoffer verstaute!
    »Mein Kummer ist selbstsüchtig, siehst du!« sagte sie zu Sara, die ihr mit harten Augen und zusammengepreßten Lippen half und sich bemühte, Haltung zu bewahren, »ich weiß, daß Mutter ebenso gut auf ihn aufpassen wird, wie ich es könnte. Ich weiß, daß ihm in der Abtei nichts zustoßen kann, daß er vor allem Bösen, allem Schmerz behütet und daß unsere Abwesenheit, wie ich hoffe, kurz sein wird. Trotzdem mache ich mir große Sorgen!«
    »Glaubst du, mir ist es nicht schmerzlich, ihn zu verlassen? Aber schließlich reisen wir für ihn da hinunter, und wenn es für sein Wohl ist, fällt mir nichts zu schwer!«
    Und um die Zuverlässigkeit ihrer Überzeugung zu demonstrieren, machte sich Sara mit Eifer daran, die kleinen Hemden des Kindes im Koffer zu verstauen. Trotz allem mußte Cathérine leise lächeln. Ihre alte Sara würde sich nie ändern! Selbst wenn sie vor Kummer erstickte, ließ sie sich lieber in Stücke hauen, als es einzugestehen. Im allgemeinen verwandelte sich bei ihr der Kummer in Wut, die sie an unschuldigen Objekten ausließ. Seitdem Sara wußte, daß sie sich für einige Zeit von ihrem geliebten Säugling trennen mußte, hatte sie bereits zwei Näpfe, eine Schüssel, einen Wasserkrug, einen Schemel und eine Holzstatue des heiligen Géraud zerbrochen, worauf sie in die Kapelle gestürzt war, um den Himmel um Vergebung für ihre unfreiwillige Freveltat anzuflehen.
    Während sie sich mit grimmiger Entschlossenheit weiter an die Füllung des Koffers machte, murmelte sie:
    »Im Grunde ist es eine gute Sache, daß Fortunat sich weigert, uns zu folgen. In ihm wird Michel einen tüchtigen Verteidiger haben, und dann …«
    Sie hielt unvermittelt inne, biß sich auf die Zunge, wie sie es immer tat, wenn sich ihre laut ausgesprochenen Gedanken Arnaud de Montsalvy zuwandten. Der kleine gaskognische Schildknappe zeigte in der Tat fast ebenso tiefen Schmerz wie Cathérine. Er hegte für seinen Herrn eine glühende und unbedingte Ehrerbietung, wie sie manche Männer bei ihren Gefolgsleuten zu wecken verstehen. Er bewunderte ihn ob seiner Tapferkeit und seines untrüglichen Ehrgefühls, ob seiner Befähigung als Kriegsmann und auch dessentwegen, was die Feldhauptleute Karls VII. ›den abscheulichen Montsalvy-Charakter‹ nannten: eine seltsame Mischung von Gewalttätigkeit, Humanität, von Schroffheit und unerschütterlicher Loyalität. Daß die furchtbare Lepra seinen Gott hatte befallen können, war zuerst ein Schock für Fortunat gewesen, dann hatte er sich zornig gegen das Schicksal aufgelehnt und war schließlich in Verzweiflung versunken, die abzuschütteln ihm noch nicht gelungen war. An dem Tag, an dem Arnaud die Seinen auf immer verlassen mußte, hatte Fortunat sich tief in einen Turm verkrochen und sich geweigert, dem entsetzlichen Abschied beizuwohnen. Hugh Kennedy hatte ihn auf dem nackten Boden liegend angetroffen, wie ein Kind schluchzend und beide Fäuste an die Ohren pressend, um das Läuten der Totenglocke nicht hören zu müssen. Seit diesem Tag schleppte sich Fortunat durch die Festung wie eine im Fegefeuer schmachtende Seele, fand keinen Geschmack am Leben mehr, außer einmal in der Woche, am Freitag, wenn er zum Spital von Calves ging
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