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Cathérine de Montsalvy

Titel: Cathérine de Montsalvy
Autoren: Benzoni Juliette
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und einen Korb mit Lebensmitteln am Turm des Gotteshauses abstellte. Bei diesen wöchentlichen Besuchen einer verschlossenen Pforte lehnte Fortunat jede Begleitung ab. Er wollte allein sein. Selbst Gauthier, der ihm inzwischen ans Herz gewachsen war, hatte nie die Erlaubnis erhalten, ihn zu begleiten. Und nie hatte der kleine Gaskogner sich ein Pferd für den Weg nach Calves geben lassen. Zu Fuß, wie auf einer Pilgerfahrt, legte er die anderthalb Wegstunden von Carlat zur Leprastation zurück, unter das schwere Gewicht des Korbes und auf dem Rückweg unter das seines tiefen Kummers gebeugt. Von Mitleid gerührt, hatte Cathérine ihn nötigen wollen, sich ein Reitpferd zu nehmen, doch Fortunat hatte sich geweigert.
    »Nein, Dame Cathérine, nicht einmal einen Esel! ›Er‹ hat nicht mehr das Recht, die Pferde zu besteigen, die er so sehr liebt; da werde ich, sein Knappe, auch nicht zu Pferde zu meinem geschlagenen Herrn gehen!«
    Der Adel und die Liebe, die aus diesen Worten sprachen, hatten Cathérine erschüttert. Sie hatte also nicht mehr darauf bestanden, sondern hatte den kleinen Mann mit feuchten Augen an den Schultern ergriffen und ihn schwesterlich auf beide Wangen geküßt.
    »Du bist tapferer als ich«, hatte sie zu ihm gesagt, »die ich nicht den Mut habe, dorthin zu gehen. Ich glaube, ich würde vor dieser Pforte, die sich niemals öffnet, sterben. Ich begnüge mich damit, von weitem den Rauch des Schornsteins zu betrachten … Ich bin nur eine Frau«, hatte sie demütig hinzugefügt.
    Doch an diesem Abend, an dem sie Fortunat hatte rufen lassen, um ihm die letzten Anweisungen vor dem Aufbruch nach Montsalvy zu geben, hatte sie sich nicht enthalten können, zu ihm zu sagen:
    »Von Montsalvy nach Calves sind es mehr als fünf Meilen, Fortunat! Du solltest dich endlich entschließen, ein Pferd oder zumindest ein Maultier zu nehmen. Du brauchst dein Reittier nur in einiger Entfernung von …«
    Das peinliche, den verworfenen Ort näher bezeichnende Wort kam nie über ihre Lippen. Doch Fortunat schüttelte den Kopf.
    »Ich werde zwei Tage hin und zurück brauchen, Dame Cathérine, das ist alles!«
    Auch diesmal erwiderte Cathérine nichts. Sie verstand im Grunde das Bedürfnis des kleinen Gaskogners, auf seine Weise zu leiden, wenn er zu dem ging, der nur noch Leid zu erdulden hatte. Aber zwischen den Zähnen, nur für sich, murmelte die junge Frau, die Hände aneinanderpressend:
    »Eines Tages … werde auch ich hinübergehen! Und werde nie zurückkehren …«
    Am Morgen beobachtete Cathérine, aufrecht auf dem Wall stehend, hinter ihr Sara und Gauthier, wie ihr Sohn und ihre Schwiegermutter Carlat verließen. Durch ihren schwarzen Schleier geschützt, sah sie die uralte Sänfte, ein schwerfälliges Möbel mit dicken Ledervorhängen, das man für diese Gelegenheit aus einem Winkel des Marstalls ausgegraben hatte, sich durch die Pforte der Umwallung bewegen. Ein eisiger Wind fegte durch das schneebedeckte Tal, doch in der Sänfte, in der man mit rotglühenden Kohlen gefüllte Behälter aufgestellt und Decken aufgehäuft hatte, würde Michel zwischen seiner Großmutter und Donatienne nicht frieren. Inmitten seiner bis an die Zähne bewaffneten Eskorte ging der kleine Knabe der Ruhe und Sicherheit entgegen, aber seine Mutter konnte die Tränen nicht zurückhalten. Da niemand hinter das zarte Bollwerk des Musselins blicken konnte, vergab sie sich nichts damit. Auf den Lippen spürte sie noch die frischen, samtenen Wangen des Kindes. Sie hatte es in einem plötzlichen Ausbruch von Leidenschaft geküßt, innerlich von der erzwungenen Trennung gepeinigt, bevor sie es seiner Großmutter wieder in die Arme gab. Dann hatten die beiden Frauen sich wortlos umarmt, doch als Isabelle de Montsalvy in die Sänfte stieg, hatte sie mit dem Daumen vor der Stirn der jungen Frau das Zeichen des Kreuzes gemacht. Dann hatte sie Michel fester in die Arme geschlossen, und die Ledervorhänge waren hinter ihnen zugefallen.
    Jetzt wand sich der Zug den steilen Abhang hinunter und erreichte die ersten Häuser des Dorfs. Von ihrem Beobachtungsposten aus konnte Cathérine die roten oder blauen Mützen einiger an der Kirche versammelter Bauern sehen. Frauen traten aus ihren Häusern, einige hatten Spinnrocken in der Hand und das Wollgarn in einem Weidenkorb dabei. Als die Sänfte vorbeizog, wurden die Kappen abgenommen. Absolute Stille breitete sich über das wie in ein Leichentuch gehüllte weiße Land. Der Rauch der Kamine zeichnete
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