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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Autoren: Jakob Wassermann
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und sah aus, als ob er lachen wollte.
    Sie gingen miteinander hinauf.
    Caspar saß mit nacktem Oberleib im Bette, gegen aufgetürmte Kissen gelehnt, starr wie eineFigur aus Lehm, das Gesicht grau wie Bimsstein, die Haut des Körpers strahlend weiß wie eine Magnesiumflamme. Der Medizinalrat hatte soeben den Verband abgenommen und wusch die Wunde. Außerdem war noch ein Kommissionsaktuar zugegen. Dieser hatte am Tisch Platz genommen; ein Protokollformular lag bei ihm, auf dem die lakonischen Worte standen: »Der Damnifikat verbleibt bei seinen bisherigen Depositionen.« Über einen eingefangenen Straßenräuber hätte man sich nicht besser und niedlicher ausdrücken können.
    Kaum hatte Caspar den eintretenden Hickel gewahrt, als er den wie einen gebrochenen Blumenkelch seitwärts gesenkten Kopf aufrichtete und mit weitgeöffneten Augen, in denen ein ganz unsäglicher Schrecken lag, dem Ankömmling ins Gesicht starrte.
    Ohne zu sprechen, erhob Hickel drohend den Zeigefinger. Diese Gebärde schien den Schrecken Caspars aufs äußerste zu treiben; er faltete die Hände und murmelte ächzend: »Nicht nahekommen! Ich hab’s ja doch nicht selber getan.«
    »Aber Hauser! Was fällt Ihnen denn ein!« rief Hickel mit einer Lustigkeit, die man etwa im Wirtshaus zur Schau trägt, und seine gelben Zähne blinkten zwischen den vollen Lippen; »ich hab’ Ihnen ja nur gedroht, weil Sie ohne Erlaubnis in den Hofgarten gegangen sind. Wollen Sie das vielleicht auch leugnen?«
    »Keine Auseinandersetzungen, wenn ich bitten darf,« mahnte der Medizinalrat unwillig. Er hatte den Verband erneuert, zog nun den Lehrer beiseite und sagte leise und ernst: »Ich kannIhnen nicht verhehlen, daß Hauser wahrscheinlich die Nacht nicht überleben wird.«
    Offenen Mundes stierte Quandt den Arzt an. Seine Knie wurden weich wie Butter. »Wie? Was?« hauchte er, »ist’s möglich?« Er schaute alle Anwesenden der Reihe nach langsam an, wobei sein Gesicht dem eines Menschen glich, der sich soeben behaglich zum Essen setzen wollte und dem plötzlich Schüssel, Teller, Messer und Gabel, ja der ganze Tisch weggezaubert wird.
    »Kommen Sie mit mir, Herr Lehrer,« sagte mit heiserer Stimme Hickel, der am Ofen stand und mit sinnloser Geschäftigkeit seine Hände an den Kacheln rieb.
    Quandt nickte und schritt mechanisch voraus.
    »Ist’s möglich!« murmelte er wieder, als er auf der Stiege stand. »Ist’s möglich!« Hilfesuchend blickte er den Polizeileutnant an. »Ach,« fuhr er elegisch fort, »wir haben doch unser redlich Teil getan. An treuer Fürsorge haben wir’s wahrlich nicht fehlen lassen.«
    »Lassen Sie doch die Flausen, Quandt,« antwortete der Polizeileutnant grob. »Sagen Sie mir lieber, was hat denn der Hauser alles geredet in seinem Wahn?«
    »Unsinn, lauter Unsinn,« versetzte Quandt bekümmert.
    »Achtung, Herr Lehrer, da sehen Sie mal hinunter,« rief Hickel, indem er sich über das Geländer beugte.
    »Was denn?« gab Quandt erschrocken zurück, »ich sehe nichts.«
    »Sie sehen nichts? Potz Kübel, ich auch nicht. Es scheint, wir sehen beide nichts.« Er lachte wunderlich, richtete sich wieder kerzengerade aufund hüstelte trocken. Dann ging er, indes Quandt ihm nicht wenig betroffen nachguckte.
    Wohin soll es auch kommen mit der Welt, wenn Leute wie Hickel unter die Gespensterseher geraten? Auf ihren robusten Schultern ruhen die Fundamente der Ordnung, des Gehorsams und aller staatlich anerkannten Tugenden. Mag es auch in diesem besonderen Fall so beschaffen gewesen sein, daß die Ausgeburt rühmenswerter Untertaneneigenschaften dennoch einer Regung bösen Gewissens anheimfiel, nun, dann muß erklärt werden, daß dieses böse Gewissen mit einem martialischen Aussehen gesegnet war, daß es zu allen Mahlzeiten einen beneidenswerten Appetit entwickelte und daß es das sanfteste Ruhekissen für einen unvergleichlich gesunden Schlaf war, der durch keine Feuerglocke und kein Tedeum hätte gestört werden können.

Im Zimmer Caspars hatte der Kommissionsaktuar neuerdings ein Verhör begonnen. Caspar sollte sagen, ob noch ein Dritter zugegen gewesen sei, während er im Appellgericht mit dem fremden Mann gesprochen.
    Caspar antwortete matt, er habe niemand bemerkt, nur vor dem Tor seien Leute gewesen. »Arme Leute passen mir immer dort auf,« sagte er, »zum Beispiel eine gewisse Feigelein, der hab’ ich manchmal einen Kreuzer gegeben, auch die Tuchmacherswitwe Weigel.«
    Der Aktuar wollte weiterfragen, doch Caspar lispelte: »Müde –
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