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Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens

Titel: Caspar Hauser oder Die Traegheit des Herzens
Autoren: Jakob Wassermann
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dadurch, sagte fast herausfordernd: »Es fließt ja gar kein Blut aus der Wunde.«
    »Das Blut sickert nach innen,« entgegnete der Medizinalrat mit einem den Lehrer nur streifenden Blick. Er legte einen Umschlag von Senfteig auf das Herz und empfahl die möglichste Ruhe.
    Quandt griff sich an die Stirn. »Wie,« sagte er zu seiner Frau, »sollte sich der Bursche in seinem Leichtsinn doch ernstlichen Schaden zugefügt haben?«
    Die Lehrerin schwieg.
    »Ich bezweifle es, ich muß es bezweifeln,« fuhr Quandt fort. »Sieh doch selbst, der sonst so wehleidige Mensch klagt ja mit keiner Silbe über Schmerzen.«
    »Er antwortet auch nichts, wenn man ihn fragt,« fügte die Frau hinzu.
    Um neun Uhr fing Caspar an zu delirieren. Quandt war entschlossen, an das Delirium nicht zu glauben. Als Caspar aus dem Bett springen wollte, schrie er ihn an: »Machen Sie nicht solche widerlichen Umstände, Hauser! Gehen Sie schleunig in Ihr Bett zurück.«
    Der Pfarrer Fuhrmann trat gerade in das Zimmer und hörte dies. »Aber Quandt! Quandt!« sagte er entsetzt. »Ein wenig Milde, Quandt, im Namen unsrer Religion.«
    »O,« versetzte Quandt kopfschüttelnd, »Milde ist hier schlecht angebracht. In Nürnberg, wo er doch auch so eine verworfene Komödie aufgeführt hat, gebärdete er sich genau so, und ich habe mir sagen lassen müssen, daß er dabei von zwei Männern ist gehalten worden. Was mich betrifft, ich lasse mir so ein Schauspiel nicht bieten.«
    Frau von Imhoff hatte eine Pflegerin vom Krankenhaus geschickt, die über Nacht an Caspars Lager wachte. Er schlummerte zwei bis drei Stunden.
    Schon früh am Morgen erschien eine Gerichtskommission. Caspar war bei klarem Bewußtsein. Vom Untersuchungsrichter aufgefordert, erzählteer, ein fremder Herr habe ihn zum artesischen Brunnen in den Hofgarten bestellt.
    »Zu welchem Zweck bestellt?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Er hat darüber gar nichts gesagt?«
    »Doch; er hat gesagt, man könnte die Tonarten des Brunnens besichtigen.«
    »Und daraufhin sind Sie ihm schon gefolgt? Wie sah er aus?«
    Caspar gab eine kurze, abgerissen gelallte Beschreibung und der Art, wie ihn der Fremde gestochen. Sonst war nichts aus ihm herauszubringen.
    Es wurde nach Zeugen gefahndet. Es stellten sich Zeugen. Zu spät für die Verfolgung des Täters. Schon die erste Anzeige war, durch die Mitschuld Quandts, unverantwortlich verzögert worden. Als man die am Ort des Verbrechens befindlichen Blutspuren untersuchen wollte, ergab es sich, daß inzwischen schon zuviele Menschen dagewesen waren und den Schnee zertreten hatten. Aus einem so wichtigen Umstand Nutzen zu ziehen mußte also von vornherein verzichtet werden.
    Zeugen fanden sich genug. Die Zirkelwirtin in der Rosengasse bekundete, gegen zwei Uhr sei ein Mann in ihr Haus gekommen, den sie nie zuvor gesehen, und habe gefragt, wann eine Retour nach Nördlingen gehe. Der Mann war ungefähr fünfunddreißig Jahre alt gewesen, von mittlerer Größe, bräunlicher Hautfarbe und mit Blatternarben im Gesicht.
    Er habe einen blauen Mantel mit Pelzkragen,einen runden schwarzen Hut, grüne Pantalons und Stiefel mit gelben Schraubsporen getragen. In der Hand hielt er eine Reitgerte. Er habe nur fünf Minuten geweilt und ganz wenig gesprochen; auffallend sei es gewesen, daß er nicht sagen gewollt, wo er logierte.
    So beschrieb auch der Assessor Donner einen Mann, den er um drei Uhr im Hofgarten neben der Lindenallee gesehen, und zwar in Gesellschaft von zwei andern Männern, die der Assessor jedoch nicht betrachtet hatte.
    Ein Spiegelarbeiter namens Leich ging ein paar Minuten vor vier Uhr von seiner Wohnung auf dem neuen Weg durch die Poststraße auf die Promenade und von da über den Schloßplatz. Er sah vom Schloß her zwei Männer über die Gasse schreiten und, die Reitbahn zur Linken lassend, zum Hofgarten gehen. Er erkannte in dem einen von ihnen Caspar Hauser. Als die beiden zum Laternenpfahl am Eck der Reitbahn kamen, wandte sich Caspar Hauser um und blickte den Schloßplatz hinauf, so daß ihn der Beobachter noch einmal und genau hatte sehen können. Bei den Schranken blieb der Fremde stehen, um Hauser mit höflicher Gebärde den Vortritt zu lassen. Der Arbeiter dachte für sich: wie doch die Herren bei solchem Sturm und Schnee spazierengehen mögen.
    »Drei Viertelstunden später,« erzählte der Mann, »als ich von einer Besorgung beim Büttner Pfaffenberger zurückkam, standen auf dem Schloßplatz viele Leute, die jammerten und sagten, der Hauser sei im
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