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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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gerade noch Zeit, die brasilianische Grenze zu überqueren, zusammen mit den Touristen, die auf dem Weg zu den Wasserfällen von Iguazú waren. Hin und wieder kehre ich nach Buenos Aires zurück, aber die Stadt ist leer: leer von der damaligen Zeit, meinen Hoffnungen, meinen Freunden, den verschwundenen Freunden, von mir selbst. Weder Vergeben noch Vergessen.«
    Aus den verborgensten kulturellen Schichten seines Gedächtnisses stieg Margarita Nelkens wütender Aufschrei gegen die Franco-Diktatur empor:
Weder Vergeben noch Vergessen
, eine schöne Losung, die ebenso viel Aufmerksamkeit verdient hätte wie das
No pasarán
der Pasionaria. In Biscuters Beisein, der gerade mit einem Korb voll Spinat und Makrelen vom Mercado de la Boquería zurückgekehrt war, um die Fische später in einem Fond aus Gemüse und frischem Knoblauch im Ofen zu schmoren, vereinbarten sie einen Termin mit dem Komödianten Dieste. Ausgehend von der neuen Satzung, die sie sich als assoziierte Ermittler gegeben hatten, lieferte Carvalho seinem Partner eine kurze Zusammenfassung der Lage.
    Â»Klasse Aussichten. Ich kann Ihnen unzählige Kontakte zur Welt des Rampenlichts vermitteln.«
    Biscuter wartete, bis sich Carvalhos Erstaunen gelegt hatte.
    Â»Sie schließen täglich hier ab und gehen nach Vallvidrera. Ich bleibe, bin immer geblieben und verbringe unzählige Stunden allein in diesem Loch dahinten. Und ich liebe es, ins Theater und in Tanzlokale zu gehen. Wussten Sie, dass ich mir jahrelang ein paar Peseten dazuverdient habe, indem ich bis zum Morgengrauen als Kellner im Buena Sombra, im Bagdad oder im La Dolce Vita ausgeholfen habe?«
    Carvalho musste dringend an die frische Luft, diese unzähligen Biscuters loswerden, die sich im Büro, in der winzigen, mit einem Vorhang abgetrennten Küche, in dem schäbigen Zimmer, in dem die Missgeburt zwanzig Jahre lang gehaust hatte, wie Milben vermehrten. Und das alles nur vorübergehend. Seit zwanzig Jahren. Ihm fielen Biscuters Beleidigungen ein: »Ich kenne Ihre Neigung, Probleme auszusitzen oder so lange zu warten, bis die auf diesem Schreibtisch oder in Ihrem Hirn angehäuften Probleme Sie vergessen haben.«
    Er durchquerte das Barrio Chino, konnte die Leere der von den Bulldozern eingerissenen Straßenzüge fast mit den Händen greifen, nach dieser gnadenlosen Zerstörung des Labyrinths, das früher einmal die Lendengegend der Stadt gewesen war. Sogar die Literatur hatte ihren Raum auf einem Platz beansprucht, der einem gewissen André Pieyre de Mandiargues gewidmet war – für sein einziges Verdienst, einen Roman in der Calle de Escudillers verfasst, mit Nutten ein
meublé
in der Calle Barberá aufgesucht und in der Calle Leopoldo gespeist zu haben. Dagegen hatte man den Block, das Gebäude und das Treppenhaus abgetragen, wo Joaquín Marco das Licht der Welt erblickt und sein gesamtes Leben verbracht hatte, ein Dichter, den Carvalho kennenlernte, als sie am Brunnen der Plaza del Padró Schlange standen. Hubschrauber fliegen vorbei. Wahrscheinlich räuchern sie die Bakterien der Erinnerung mit Modernität aus. Im Casa Leopoldo blättert Germán in aller Ruhe ein Album mit vergilbten Fotos durch, und seine Tochter Rosa erzählt Carvalho, dass sie soeben aus Buenos Aires zurückgekehrt ist, wo sie ihre Freundin, die Schauspielerin Cecilia Rossetto, besucht hat. Buenos Aires, knurrt Carvalho. Buenos Aires, knurrt er noch einmal.

3 Wer kann einen Penner bloß so hassen?
    Die morgendlichen Metro-Reisenden bildeten einen Kreis um die am Boden liegende Leiche, deren Scheitel und Füße unter einem Haufen aus Pappkartons hervorschauten, und versuchten das Bild dieses verpackten Todes zu vervollständigen. Die Polizei unternahm alles, um die Schaulustigen auf Distanz zu halten, und Inspektor Lifante wartete ab, bis sich die Vorhut der Gaffer weit genug zurückgezogen hatte, bevor er das Leichentuch aus Karton aufdeckte. Das Bild nahm Gestalt an. Eine korpulente, grauhaarige Frau mit urzeitlichem Schmutz auf ihren bis hinauf zum Geschlecht nackten Beinen, umringt von Plastiktüten voller Müll, die typische Komposition aus Elend, wie sie Obdachlose umgibt.
    Â»Warum musste die arme Frau sterben?« Die Worte von Lifante, Eierkopf, wie er von seinen Kollegen genannt wurde, verrieten keinerlei Gefühlsregung.
    Â»Mit diesen Pennern nimmt es meist ein schlimmes Ende, Lifante«, bemerkte
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