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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Jungen, in den ich einmal unsterblich verliebt war. Man ist immer nur vierundzwanzig Stunden unsterblich verliebt; dummerweise wurden daraus vierundzwanzig Jahre. Ein ganzes Leben. Aber eigentlich wollte ich Ihnen von einer winzigen Episode aus dem Leben meines Exmannes erzählen, von Rocco. Nachdem man mich verhaftet hatte, lebte er mehr oder weniger im Untergrund. Und es gab eine Frau in seinem Leben. Es schien für die Ewigkeit zu sein. Eine von Roccos Schülerinnen, bildschön, sie wollte Hollywoodstar werden, aber dann …«
    Sie zögerte, ob sie lieber etwas anderes sagen oder den Satz beenden und konkret werden sollte.
    Â»Dann was?«
    Â»Sie wäre beinahe Emmanuelle geworden.«
    Â»Emmanuelle?«
    Â»Können Sie sich nicht an Emmanuelle erinnern? Haben Sie hinter dem Mond gelebt? Diese Frau aus Erotikromanen und Pornos, Softpornos. Die Schülerin meines Exmannes, Rocco war drauf und dran, die argentinische Emmanuelle zu werden.«
    Schlagartig kehrten Carvalhos Erinnerungen zurück und mit ihnen der Korbsessel, in den sich die Nacktheit der ersten Emmanuelle geschmiegt hatte. Sylvia Kristel. Die argentinische Emmanuelle musste der Kristel ähnlich sehen, die gleichen langen, eleganten Beine haben, denselben erstaunten Gesichtsausdruck eines Mädchens, das sich wundert, zu welchen Perversionen es fähig ist, und bestimmt hatte auch sie mit entblößten Brüsten und einer langen Zigarettenspitze im Mund posiert. Er hatte das Bild einer Glasperlenkette vor Augen – oder waren es echte Perlen gewesen? –, die von einer der kleinen, runden, perlmuttfarbenen Brüste gehalten wurde, einer Brust mit einem dunkelrosa Rüssel, einer jugendlichen, noch von keiner Lippe und keinem Zahn traktierten Brustwarze.
    Â»Was war mit der argentinischen Emmanuelle?«
    Â»Ich weiß es nicht. Genau darum geht es. Man hat mich gebeten, sie zu suchen, hier in Spanien, wohin sie Ende der siebziger oder Anfang der achtziger Jahre gegangen ist. Sie schien auf der Flucht zu sein, jedenfalls waren die Umstände ihrer Abreise sehr mysteriös. Offenbar wurde sie verfolgt, vermutlich hatte es etwas mit der Diktatur zu tun, obwohl der harte Kern derjenigen, die vor der Repression flohen, in dieser Zeit bereits das Land verlassen hatte. Sie muss um 1980 herum hierhergekommen sein.«
    Â»Wer hat Sie gebeten, sie zu suchen?«
    Â»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«
    Es war nicht das Einzige, was sie ihm nicht sagen konnte oder wollte, sie sprach lediglich von einer sicheren und einer weniger sicheren Spur in Barcelona.
    Â»Die sichere?«
    Â»Eine Schwester von Helga – Helga ist der Name des Mädchens, das Emmanuelle sein sollte – lebt hier. Ihr Mann, ein leitender Manager eines internationalen Unternehmens, zog aus beruflichen Gründen nach Barcelona. Vielleicht weiß sie, wo sich Helga herumgetrieben hat.«
    Â»Warum gehen Sie nicht einfach zu dieser Schwester und fragen sie?«
    Â»Das kann ich aus bestimmten Gründen nicht tun. Was die unsichere Spur betrifft, hat diese etwas mit einem argentinischen Theaterregisseur zu tun, der hier in Barcelona arbeitet und Helga zu Beginn ihrer vermeintlichen Karriere begleitet hat. Die beiden Hinweise kann ich Ihnen geben: die Schwester und der Regisseur, Alfredo Dieste. Er war drüben ziemlich angesagt, hier kommt er kaum über die Runden.«
    Wie sollte er eine Frau suchen, die ihre Wurzeln in einem anderen Land hat? Wer oder was garantierte ihm, dass sie nicht längst wieder in Buenos Aires war? Wenn Dorotea Samuelson nicht gerade einen ihrer schwammigen Sätze vom Stapel ließ, stellte sie Fragen.
    Â»Was wissen Sie über Buenos Aires?«
    Â»Das ist lustig. Dieselbe Frage hat mir vor Kurzem mein Onkel gestellt. Er hat fast sein gesamtes Leben in Argentinien verbracht und möchte jetzt von mir, dass ich hinfliege und einen Sohn von ihm suche, der offenbar verschwunden ist. Pepiño, was weißt du über Buenos Aires? Und ich habe ihm dasselbe geantwortet wie jetzt Ihnen: Maradona, Tango und Verschwundene.«
    Â»Nicht schlecht für einen Galicier, wie wir dort alle Spanier nennen. Zumindest erinnern Sie sich noch an die Verschwundenen. Ich war eine von ihnen, und ich konnte mich im letzten Moment davor retten, für immer zu verschwinden. Diese Erfahrung hat mein Leben zerstört. Als ich wieder frei war, war meine Ehe kaputt und meine akademische Laufbahn beendet. Ich hatte
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