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Caruso singt nicht mehr

Titel: Caruso singt nicht mehr
Autoren: Anne Chaplet
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sagte sie laut, »wurde gesehen und gehört, wie er sich mit zwei Männern vom Bewachungsinstitut ›Artus‹ unterhielt.«
    Kosinski nickte. »Wir wußten, daß Matern Kontakte nach Frankfurt hatte, zu einer Art Selbsthilfegruppe ehemaliger Stasi-Mitarbeiter, alle bei Frankfurter Sicherheitsdiensten beschäftigt. Bei einem war er Mitgesellschafter.«
    »Selbsthilfegruppe! Ist ja niedlich«, sagte Anne spitz.
    Die Stimme auf dem Band hatte leise gelacht – Karen zerriß es fast das Herz: »Ich habe vor Schreck das Gewicht fallen lassen. So hatte ich mir die Wiederbegegnung nicht vorgestellt. Und die hatte ich mir schließlich schon hunderte von Malen ausgemalt.«
    Er war in die Garderobe gegangen, hatte sich angezogen, hatte auf Matern gewartet und war ihm ab da wie ein Schatten gefolgt. Meistens morgens. Manchmal nachts. Erst mit dem Taxi, später, als er wußte, wo der Mann in Frankfurt wohnte und wie er seinen Tagesablauf plante, mit einem Leihwagen. Hatte fotografiert. Und protokolliert. Karen legte ihre Hand auf den dicken Briefumschlag.
    »Matern hatte Kontakte überall in Frankfurt. Wir verfügen über ein hervorragendes Bewegungsprofil – eines Mannes, der sich auch nach der Wende noch überaus professionell verhielt. Matern war ein Vollprofi der verdeckten Aufklärung«, sagte Karen sarkastisch. Der Mann war ein Phänomen. Und selbst sein Schatten war beeindruckt gewesen.
    »Ich habe das alles nicht für möglich gehalten«, hatte die Stimme gesagt, fast mit Bewunderung.
    »Meine Quelle ist sich sicher, daß Matern zusammen mit anderen ehemaligen MfS-Mitarbeitern Schutzgelder kassierte. Und prominente Bürger der Stadt erpreßte, von denen er wußte, daß sie jahrzehntelang überaus freundliche Beziehungen zum Ministerium für Staatssicherheit der DDR unterhielten – um es vorsichtig auszudrücken. Politiker, Künstler. Lehrer. Universitätsprofessoren, Journalisten. Vieles, was Rang und Namen hat.«
    Anne nickte, als ob sie das alles nicht weiter überraschte. Paul war entgeistert. Hatte sie etwa geahnt, womit sich ihr Gatte die Zeit vertrieb, dem sie auf dem Weiherhof freiwillig Unterschlupf bot, wenn seine Frankfurter Geschäfte ihm mal über den Kopf wuchsen? Bremer merkte, wie Wut in ihm emporstieg. Womit hatte dieser Verbrecher verdient, daß eine Frau wie Anne nach alledem noch zu ihm hielt?
    »Es sind mehr«, sagte Karen angewidert, »weit mehr, die sich auf die Stasi eingelassen haben, als wir wußten.« Ein sehr angesehener Fernsehmann war dabei. Ein beliebter Schauspieler. Zwei Kommunalpolitiker. Ein Schuldirektor. Bei einigen Universitätsprofessoren wunderte es sie nur mäßig. Und bei einer besonders schillernden Person überhaupt nicht.
    »Donnerstag, 5. September, 11 Uhr 15: Matern ist seit 10 Uhr 20 im Haus, schöne kleine Villa, Dichterviertel. Matern sehr elegant gekleidet. Wird vom Hausbewohner zur Tür gebracht, verabschiedet, sie umarmen sich, Bruderkuß.« Karen kannte den Mann auf dem dazugehörigen Foto: Den großen Zampano aus der Unterhaltungsindustrie kannte jeder in der Stadt. Und keinesfalls jeden hätte das Bild verwundert, auf dem der Millionär sich abküßte mit dem ehemaligen Mitarbeiter der Staatssicherheit der DDR. Den hatte Leo nicht erpressen müssen. Der hatte keine Vergangenheit, derer er sich schämte. Der machte noch immer mit. Treu der Sache. Und denen, die so taten, als seien sie noch immer die Sachwalter.
    »Es ist kaum zu glauben, wer alles auf der Gehaltsliste der Stasi stand und nun dafür zahlen muß«, hatte die Stimme gesagt – nicht ohne Genugtuung, war Karen aufgefallen. Wer vom MfS Geld bekommen hatte, mußte es nun mit Zins und Zinseszins zurückzahlen. Ausgleichende Gerechtigkeit? Vielleicht.
    »Die einen zahlten offenbar freiwillig – aufgrund alter, ungebrochener Loyalitäten. Andere zahlten aus Angst. Und nur wenige ließen sich nicht einschüchtern von Leo Matern« – der so gar nichts DDR-Spießiges an sich hatte, dachte Karen. Auf den Fotos sah Leo Matern nicht wie ein braver sozialistischer Kader aus, sondern wie ein eleganter Bonvivant.
    »Mittwoch, 11. September: Matern klingelt an einer Wohnung in Eckenheim, offenbar im Erdgeschoß, er wird hineingelassen und kommt zwei Minuten später wieder herausgestürzt. Eine Frau hinter ihm her, wie eine Furie, spuckend und schimpfend, Haß im Gesicht.« Eine Journalistin. Karen kannte sie, die Frau hatte zwei Jahre lang als Gerichtsreporterin gearbeitet. Worauf immer die Frau sich vor Jahren
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