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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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umwickeltes Holzkreuz schwarz
gegen das feindselige Ufer ab, erinnerte an einen Unbekannten, der es nicht
ganz geschafft hatte.
    Toby zog schweigend einen
Feldstecher aus dem Mantel und reichte ihn Smiley.
    »George. Hören Sie. Viel Glück,
okay?«
    Tobys Hand schloß sich kurz um
Guillams Arm. Dann verschwand er wieder in der Dunkelheit.
    Die Luft im Unterstand war stickig
und roch nach vermodertem Laub. Smiley kauerte sich an die Schießscharte, der
Saum seines Tweedmantels schleifte über den Schmutz, während er die Szene vor
sich betrachtete, als spielte sich in ihr sein eigenes langes Leben ab. Der
Fluß war breit und langsam und nebelig vor Kälte. Bogenlampen ließen ihre
Strahlen, in denen der Schnee tanzte, darüber spielen. Die Brücke ruhte auf
mächtigen Steinpfeilern, sechs oder acht an der Zahl, die sich, wo sie ins
Wasser tauchten, zu klobigen Sockeln verdickten. Zwischen den Pfeilern rundeten
sich Bogen, von denen einer, der mittlere, so begradigt war, daß Schiffe
durchfahren konnten. Doch das einzige Schiff war ein graues, am Ostufer
festgemachtes Patrouillenboot, und das einzige Handelsgut, das es zu bieten
hatte, war der Tod. Hinter der Brücke stand, wie ihr eigener, riesiger
Schatten, die Bahnüberführung, aber wie der Fluß war auch sie stillgelegt, es
fuhren keine Züge mehr darüber. Die Lagerhäuser am fernen Ufer wirkten
monströs, wie die Gefängnisschiffe eines vergangenen, barbarischen Zeitalters,
und die Brücke mit ihrem gelben Laufgang schien auf halber Höhe aus ihnen
herauszuspringen, wie ein phantastischer Lichtweg aus der Dunkelheit. Von
seinem strategischen Punkt aus konnte Smiley mit dem Feldstecher die ganze
Strecke überblicken, von dem flutlichtüberstrahlten, weißen Barackenbau am
Ostufer bis zum schwarzen Wachturm am Ende der Steigung und dann, leicht bergab
nach der westlichen Seite, bis zum Pferch, dem MG-Stand, der das Gatter
überwachte, und schließlich dem Lichthof der Bogenlampen.
    Guillam stand knapp hinter ihm,
doch Guillam hätte ebensogut in Paris sein können, so wenig war Smiley sich
seiner Anwesenheit bewußt: Er hatte gesehen, wie die einsame, schwarze Gestalt
zu ihrem Gang ansetzte; er hatte das Aufglühen des Zigarettenstummels gesehen,
als der Mann einen letzten Zug tat; den Funkenregen, als er ihn über die
Eisenumzäunung des Laufgangs ins Wasser schnippte. Ein kleiner Mann, in einem
halblangen Arbeitskittel, eine Werkzeugtasche über die schmale Brust gehängt,
der weder schnell noch langsam ging, sondern eben so wie ein Mann, der gewohnt
ist, viel zu gehen. Ein kleiner Mann, der Körper ein bißchen zu groß im
Verhältnis zu den Beinen, barhäuptig trotz des Schnees. Das ist alles, dachte
er: Ein kleiner Mann geht über eine Brücke.
    »Ist er es?« flüsterte Guillam.
»George, sagen Sie. Ist es Karla?«
    Komm nicht , dachte Smiley. Schießt doch, dachte Smiley und
sprach zu Karlas Leuten, nicht zu den seinen. Der Gedanke, daß dieses
schmächtige Wesen dabei war, sich von der unüberwindlichen Festung in seinem
Rücken abzuschneiden, dieses Vorherwissen war ihm plötzlich unerträglich.
Schießt ihn nieder vom Wachturm aus, vom MG-Stand, von dem weißen Barackenbau,
von dem Ausguck des Lagerhausgefängnisses aus, schlagt das Gatter vor ihm zu,
legt ihn um, euren Verräter, tötet ihn! In seiner fieberhaften Phantasie sah
er, wie die Szene sich abspielte: Die Moskauer Zentrale entdeckt in letzter
Minute Karlas Schandtat und telefoniert an die Grenze: >Haltet ihn auf, um
jeden Preis.< Und schließlich die Schüsse, nie zuviele, gerade genug, um einen
Mann ein- oder zweimal zu treffen. Dann das Abwarten.
    »Er ist es!« flüsterte Guillam. Er
hatte das Fernglas aus Smileys willenloser Hand genommen. »Es ist derselbe
Mann. Das Foto, das an Ihrer Wand im Circus hing. George, Sie Zauberkünstler!«
Doch Smiley sah im Geist nur die Suchscheinwerfer der Vopos, die Karla
einfingen wie Autoscheinwerfer einen Hasen, so schwarz vor dem weißen
Hintergrund des Schnees, sah Karlas hoffnungslosen Altmännerlauf, bevor die
Kugeln ihn von den Beinen rissen und wie eine Stoffpuppe purzeln ließen. Wie
Guillam hatte Smiley das alles schon einmal miterlebt. Er schaute wieder über
den Fluß in die Dunkelheit, und ein frevlerischer Schwindel erfaßte ihn, als
das Böse, das er bekämpft hatte, nach ihm zu greifen, von ihm Besitz zu nehmen
schien, trotz seiner Gegenwehr auf ihn Anspruch erhob und ihn auch einen
Verräter nannte; ihn verspottete und zugleich seinen
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