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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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sagte, daß es so sei.
    »Bitte, senken Sie nicht Ihre
Stimme, nur weil ich eine Nonne bin. Wir betreuen hier ein lärmendes Haus, aber
deswegen ist niemand weniger fromm. Sie sehen blaß aus. Haben Sie Grippe?«
    »Nein. Nein, ich fühle mich ganz
wohl.«
    »Nun, dann sind Sie besser dran als
Herr Glaser, der an Grippe erkrankt ist. Letztes Jahr hatten wir die ägyptische
Grippe, vorletztes die asiatische Grippe, doch heuer scheint das malheur ganz
und gar einheimischen Ursprungs zu sein. Darf ich fragen, ob Herr Lachmann
Papiere hat, die ihn ausweisen?«
    Smiley reichte ihr eine Schweizer
Kennkarte.
    »Aber, aber. Ihre Hand zittert ja.
Doch Sie haben keine Grippe. Beruf Professor«, las sie laut. »Herr
Lachmann stellt sein Licht unter den Scheffel. Herr Lachmann ist Herr Professor
Lachmann. Darf man fragen, in welchem Fach Herr Professor Professor ist?«
    »Philologie.«
    »So, so. Philologie. Und Herr Glaser, was ist er von Beruf? Er hat es mir gegenüber nie erwähnt.«
    »Soviel ich weiß, ist er
geschäftlich tätig.«
    »Ein Geschäftsmann, der perfekt
russisch spricht. Sprechen Sie auch perfekt russisch, Herr Professor?«
    »Leider, nein.«
    »Aber Sie sind Freunde.« Sie gab
ihm die Kennkarte zurück.
    »Ein schweizerisch-russischer
Geschäftsmann und ein bescheidener Professor der Philologie sind Freunde. So,
so. Hoffen wir, daß es eine fruchtbare Freundschaft ist.«
    »Wir sind auch Nachbarn«, sagte
Smiley.
    »Wir sind alle Nachbarn, Herr
Lachmann. Kennen Sie Alexandra schon?«
    »Nein.«
    »Junge Mädchen werden in vielen
Eigenschaften hierher gebracht. Wir haben Patenkinder. Wir haben Mündel.
Nichten. Waisen. Vettern und Basen. Tanten, ein paar. Etliche Schwestern. Aber
Sie würden überrascht sein zu erfahren, wie wenig Töchter es auf der Welt gibt.
Wie ist zum Beispiel Herr Glaser mit Alexandra verwandt?«
    »Soviel ich weiß, ist er ein Freund
von Monsieur Ostrakow.«
    »Der in Paris lebt. Aber unsichtbar
ist. Genau wie Madame Ostrakowa. Unsichtbar. Wie heute auch Herr Glaser. Sie
sehen, wie schwierig es für uns ist, die Welt in den Griff zu bekommen. Wenn
wir selbst kaum wissen, wer wir sind, wie können wir dann ihnen sagen,
wer sie sind.« Eine Glocke verkündete das Ende der Ruhezeit. »Manchmal
lebt sie in Dunkelheit. Manchmal sieht sie zuviel. Beides ist schmerzlich. Sie
ist in Rußland aufgewachsen. Ich weiß nicht, warum. Es ist eine komplizierte
Geschichte, voller Kontraste, voller Lücken. Wenn es auch nicht der Grund ihrer
Krankheit ist, so ist es doch sicherlich, sagen wir einmal, der äußere Anlaß.
Sie glauben wohl nicht, daß Herr Glaser der Vater ist?«
    »Nein.«
    »Ich auch nicht. Haben Sie den
unsichtbaren Ostrakow kennengelernt? Nein. Existiert der unsichtbare Ostrakow
überhaupt? Alexandra behauptet, er sei ein Phantom. Alexandra bildet sich ganz
andere Eltern ein. Nun, das tun viele von uns.«
    »Darf ich fragen, was Sie ihr über
mich erzählt haben?«
    »Alles, was ich weiß. Das heißt,
nichts. Daß Sie ein Freund von Onkel Anton sind, den sie nicht als ihren Onkel
akzeptiert. Daß Onkel Anton krank ist, was sie anscheinend entzückt, aber
wahrscheinlich sehr beunruhigt. Ich hab' ihr gesagt, ihr Vater wünsche, daß
jemand sie einmal die Woche besuche, aber sie sagte mir, ihr Vater sei ein
Bandit und habe ihre Mutter mitten in der Nacht von einem Berg hinabgestürzt.
Ich hab' ihr gesagt, sie solle deutsch mit Ihnen sprechen, aber es kann sein, daß
sie russisch für besser hält.«
    »Ich verstehe«, sagte Smiley.
    »Da kann ich Sie nur
beglückwünschen«, gab Mutter Felicitas zurück. »Ich kann nicht das gleiche von
mir behaupten.«
    Alexandra trat ein, und er sah
zuerst nur ihre Augen: so klar, so schutzlos. Er hatte sie sich aus irgendeinem
Grund größer vorgestellt. Ihre Lippen waren voll in der Mitte, doch an den
Winkeln bereits ausgedünnt und zu beweglich, und ihr Lächeln war von
gefährlicher Entrücktheit. Mutter Felicitas befahl ihr, sich zu setzen, sagte
etwas auf Russisch, küßte sie auf das flachsfarbene Haar und verließ das
Zimmer. Sie hörten ihre Schlüssel klirren, als sie den Flur hinunterging,
hörten, wie sie auf Französisch eine der Schwestern anherrschte, sie möge
unverzüglich diesen Dreck aufputzen. Alexandra trug einen grünen Hänger mit langen,
an den Handgelenken enganliegenden Ärmeln und eine Strickweste, die sie wie ein
Cape um die Schultern geworfen hatte. Sie schien ihre Kleidung mehr
herumzutragen als zu tragen, als hätte
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