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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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Saul Enderbys Order über
London angeflogen war. Ihre Unterhaltung war reserviert, und das nicht nur aus
Sicherheitsgründen. Guillam hatte, wie er sagte, bei seinem Londoner Aufenthalt
aus eigenem Antrieb Ann aufgesucht und sei nun gespannt zu erfahren, ob er ihr
irgendeine Botschaft übermitteln könne? Smiley sagte eisig, daß es nichts zu
übermitteln gebe, und ließ Guillam etwas zuteil werden, was, soweit der sich
zurückerinnern konnte, einem Anschnauzer am nächsten kam. Bei anderer
Gelegenheit, gab er zu verstehen, würde Guillam vielleicht so freundlich sein,
seine verdammten Finger von Smileys Privatangelegenheiten zu lassen. Guillam
schaltete hastig aufs Geschäftliche um. Apropos Grigoriew, sagte er. Saul
Enderby trage sich mit der Idee, Grigoriew, so wie er war, an die Vettern zu
verkaufen, statt ihn in Sarratt zu bearbeiten. Was meine George dazu? Saul
habe so das Gefühl, der Glanz eines höherrangigen russischen Überläufers würde
den Vettern in Washington einen dringend benötigten Auftrieb geben, selbst
wenn er nichts zu erzählen hätte, während Grigoriew in London sozusagen den zu
erwartenden reinen Wein nur verwässern würde. Was George nun davon halte?
    »Genau«, sagte Smiley.
    »Saul hat sich auch gefragt, ob
diese Freitagsache wirklich so dringend notwendig war«, sagte Guillam mit
offensichtlicher Überwindung.
    Smiley hob ein Tischmesser auf und
starrte lang auf die Klinge.
    »Sie ist ihm seine Karriere wert«,
sagte er schließlich mit aufreizender Hartnäckigkeit. »Er stiehlt für sie, er
lügt für sie, er riskiert seinen Hals für sie. Er muß unbedingt wissen, ob sie
sich die Fingernägel putzt und das Haar bürstet. Meinen Sie nicht, daß wir
verpflichtet sind, sie uns anzuschauen?«
    Verpflichtet wem gegenüber? fragte
sich Guillam nervös, als er zur Berichterstattung nach London zurückflog. Hatte
Smiley gemeint, er sei sich selbst gegenüber dazu verpflichtet? Oder meinte er
Karla gegenüber? Aber er war zu vorsichtig, um diese Theorien vor Saul Enderby
auszubreiten.
     
    Aus der Ferne gesehen hätte es ein
Schloß sein können oder eines dieser Gehöfte, die im Schweizer Weinland auf den
Hügelkuppen kauern, mit Türmchen und Wassergräben, über die überdachte
Brücken zu Innenhöfen führen. Wenn man näher kam, nahm es prosaischere Züge an,
mit einer Müllverbrennungsanlage, einem Obstgarten und modernen Anbauten,
deren Fenster ziemlich klein waren. Am Dorfrand gab ein Schild die Richtung an,
pries die ruhige Lage, den Komfort und die Tüchtigkeit des Personals. Der Orden
wurde als >interkonfessionell christlich-theosophisch< bezeichnet, und
ausländische Patienten seien eine Spezialität des Hauses. Felder und Dächer
waren mit altem, schwerem Schnee bedeckt, doch die Straße, auf der Smiley fuhr,
war geräumt. Der Tag war makellos weiß, Himmel und Schnee waren zu einer
einzigen, unvermessenen Leere verschmolzen. Vom Haus am Eingangstor rief ein
finsterer Pförtner telefonisch nach oben, erhielt von irgend jemand die
Erlaubnis und winkte Smiley weiter. Ein Parkplatz war >Für Ärzte< und
einer >Für Besucher, und Smiley stellte seinen Wagen auf dem zweiten ab.
Als er auf die Klingel drückte, öffnete ihm eine einfältig aussehende, grau
gekleidete Frau, die errötete, bevor Smiley überhaupt den Mund aufgemacht
hatte. Er hörte Krematoriumsmusik, Geschirrklappern aus der Küche und
menschliche Stimmen, alles durcheinander. Es war ein Haus mit blanken Fußböden
und vorhanglosen Fenstern.
    »Mutter Felicitas erwartet Sie«,
flüsterte Schwester Béatitude scheu.
    Ein Schrei würde im ganzen Haus
widerhallen, dachte Smiley. Er bemerkte Topfpflanzen, die außer Reichweite
standen. Seine Begleiterin schlug kräftig an eine Tür mit der Aufschrift
>Büro< und stieß sie dann auf. Die Oberin Felicitas war eine große, temperamentvoll
wirkende Frau, mit einem Blick von verwirrender Weltlichkeit. Smiley saß ihr
gegenüber. Auf ihrem ausladenden Busen ruhte ein reich geschmücktes Kreuz, über
das sie beim Sprechen mit ihren breiten Händen strich. Ihr Deutsch war langsam
und königlich.
    »So«, sagte sie. »So, Sie sind also
Herr Lachmann, und Herr Lachmann ist ein Bekannter von Herrn Glaser, und Herr
Glaser ist diese Woche unpäßlich.« Sie spielte mit diesen Namen, als wüßte sie
genau, daß sie falsch waren. »Er war nicht so unpäßlich, daß er nicht hätte
telefonieren können, aber er war so unpäßlich, daß er nicht radfahren konnte.
Ist das so?«
    Smiley
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