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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Smileys Leute oder Agent in eigener Sache (Smiley Bd 7)
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milde
auszudrücken. Es würde kein Geld für sie da sein, und aus Alexandra würde eine
auf Lebenszeit zum Exil verdammte Kranke werden, die man von Spital zu Spital
schleppt, ohne Freunde, ohne ordentliche Papiere, völlig mittellos. Im
schlimmsten aller denkbaren Fälle würde sie nach Rußland zurückgebracht und
dem vollen Zorn der Feinde ihres Vaters ausgeliefert werden.
    Nach der Peitsche bot Smiley das
Zuckerbrot, wie vor mehr als zwanzig Jahren in Delhi: Retten Sie Ihre Haut,
kommen Sie zu uns, sagen Sie uns, was Sie wissen, und wir werden für Sie sorgen.
Ein klares Wiederholungsspiel, sagte später Enderby, der sportliche Metaphern
liebte. Er dürfte Karla auch versprochen haben, daß man ihn nicht wegen
Beihilfe zum Mord an Wladimir belangen würde, und es gibt Beweise dafür, daß
Enderby über seine deutsche Verbindungsstelle die gleiche Zusicherung der
Straffreiheit im Hinblick auf den Mord an Otto Leipzig erwirkte. Ganz
zweifellos stellte Smiley auch noch allgemeine Garantien bezüglich Alexandras
Zukunft im Westen in Aussicht - Behandlung, Pflege und, wenn nötig,
Staatsbürgerschaft. Schlug er wieder die Saite der Seelenverwandtschaft an, wie
damals in Delhi? Appellierte er an Karlas Menschlichkeit, die jetzt so demonstrativ
zur Schau stand? Versetzte er das alles mit Argumenten, die Karla das Gefühl
der Demütigung ersparen und, angesichts seines Stolzes, vor einem Akt der
Selbstzerstörung bewahren sollten?
    Ganz sicher gab er
Karla wenig Zeit, sich zu entschließen. Einer der Lehrsätze über die Ausübung
von Druck lautet, wie auch Karla sehr wohl wußte: Zeit zum Nachdenken ist
gefährlich. Nur daß in diesem Fall Anlaß besteht zu vermuten, daß die Zeit auch
für Smiley gefährlich war, wenn auch aus völlig anderen Gründen: Er hätte in
elfter Stunde zurückschrecken können. Ausschließlich der unmittelbare Zwang zum
Handeln kann, nach Sarratt-Überlieferung, das Wild dazu bringen, seine Scheu
abzuwerfen und sich jedem angeborenen oder anerzogenen Instinkt zuwider ins
Unbekannte zu stürzen. Das gleiche mag bei dieser Gelegenheit wohl auch für den
Jäger gegolten haben.

27
     
     
     
     
    Es ist, als setze man sein ganzes
Geld auf Schwarz, dachte Guillam, als er aus dem Fenster des Cafes starrte:
Alles, was man auf der Welt hat, seine Frau, sein ungeborenes Kind. Und dann
wartet, Stunde um Stunde, bis der Croupier die Scheibe in Bewegung setzt.
    Er hatte Berlin gekannt, als es
noch die Welthauptstadt des Kalten Krieges war, als jeder Übergang von Ost
nach West einem chirurgischen Eingriff gleichkam. Er erinnerte sich, wie in
Nächten wie dieser Scharen von Berliner Polizisten und alliierter Soldaten
immer unter den Bogenlampen herumstanden, füßestapfend auf die Kälte fluchten,
das Gewehr von einer Schulter auf die andere warfen und sich gegenseitig
frostige Atemwolken ins Gesicht bliesen. Er erinnerte sich, wie die Tanks mit
laufendem Motor warteten, die Kanonenläufe in Imponiergebärde nach drüben
gerichtet. Er erinnerte sich an das plötzliche Aufheulen von Alarmsirenen und
an die Blitzfahrt zur Bernauerstraße oder wo immer der letzte Fluchtversuch
stattgefunden hatte. Er erinnerte sich an das Ausfahren von Feuerwehrleitern,
die Befehle, zurückzuschießen; nicht zurückzuschießen; an die Toten, einige
davon Agenten. Doch nach der heutigen Nacht, das wußte er, würde er sich an die
Stadt nur noch als etwas erinnern, das so dunkel war, daß man nicht ohne
Taschenlampe auf die Straße gehen wollte, so still, daß man das Spannen eines
Gewehrhahns über den Fluß herüber hörte.
    »Was wird er als Tarnung benützen?«
fragte er.
    Smiley saß ihm an dem kleinen
Plastiktisch gegenüber, an seinem rechten Ellbogen stand eine Tasse mit kaltem
Kaffee. Er sah sehr klein aus in seinem Mantel.
    »Etwas Bescheidenes«, sagte Smiley.
»Etwas Passendes. Hier kommen meist nur betagte Rentner herüber, nehme ich an.«
Er rauchte eine von Guillams Zigaretten, die seine gesammelte Aufmerksamkeit in
Anspruch zu nehmen schien.
    »Was um alles auf der Welt wollen
denn Rentner hier?« fragte Guillam.
    »Manche arbeiten. Manche besuchen
Verwandte. Ich habe mich nicht sehr eingehend erkundigt, fürchte ich.«
    Guillam schien diese Erklärung
nicht zu befriedigen.
    »Wir Rentner bleiben am liebsten
unter uns«, fügte Smiley in dem kläglichen Versuch, einen Scherz zu machen,
hinzu.
    »Wem sagen Sie das«, sagte Guillam.
    Das Cafe lag im türkischen Viertel,
denn die Türken sind jetzt die armen
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