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Caravan

Titel: Caravan
Autoren: dtv
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Ich lächelte. Nein, vollkommen war er nicht: Er redete in diesem komischen Donbass-Dialekt, und er
     war launisch, und er dachte, er wüsste alles, dabei hing er diesen veralteten Ideen an. Aber dafür hatte er ein gutes Herz,
     er machte sich Gedanken, war höflich und tapfer, und das war gut genug für mich. »Weißt du, Andrij, mir ist eben etwas klar
     geworden. Meine Eltern brauchen mich nicht mehr.«
    Wir lehnten Seite an Seite an der Balustrade und sahen den Fontänen zu, und ich begann über die Geschichte nachzudenken, die
     ich schreiben würde, wenn ich wieder in Kiew war. Es sollte eine Liebesgeschichte werden, ein großer Roman, nichts Albernes,
     Belangloses. Das Ganze würde vor |375| dem Hintergrund der Orangen Revolution spielen. Die Heldin wäre eine schneidige Freiheitsaktivistin, und der Held käme von
     der anderen Seite, aus dem sowjetischen Osten. Aber die Liebe zur schönen Heldin würde ihm die Augen öffnen, und er würde
     endlich die wahre Bestimmung seines Landes erkennen. Er wäre sehr leidenschaftlich und schön, mit braungebrannten muskulösen
     Armen; ja, er wäre Andrij ziemlich ähnlich. Aber er wäre ganz bestimmt kein Bergarbeiter. Vielleicht hätte er einen Hund.
    Im Café ließ jemand einen Sektkorken knallen, und Lärm und Gelächter erfüllten die Stille des Platzes.
    »Andrij«, sagte ich. Er sah mich an. Seine Augen waren traurig. Ein Schatten lag über seinem Gesicht. »Denkst du an Hund?«
    Er nickte.
    »Sei nicht traurig. Jetzt hast du mich.«
    Ich streckte den Arm aus und spielte mit seiner braunen Locke, dann zog ich seinen Kopf zu mir herunter und küsste ihn. Ja,
     der Roman würde auf jeden Fall ein Happy End haben.
     
    So viele Abenteuer hast du bestanden, bevor du deinen Bestimmungsort erreicht hast. Ein paarmal bist du dem Tod von der Schippe
     gesprungen, aber dafür hast du das Herz eines wunderschönen hochklassigen ukrainischen Mädchens gewonnen. Warum muckt dein
     Herz dann wie ein alter Zaz, Andrij Palenko? Was ist los mit dir?
    Er hört die jungen Leute, die im Café ein paar Tische weiter sitzen – sie leben in einer anderen Welt. Vielleicht könnten
     Irina und er in Sheffield bleiben, sich einen Job suchen, und er könnte vielleicht sogar aufs College gehen und Ingenieur
     werden. Er würde sich ein Mobilfon zulegen, nicht um Geschäfte abzuwickeln, sondern um mit Freunden zu telefonieren |376| , und am Wochenende würden sie in Bars wie diese gehen, etwas trinken und sich amüsieren. Doch er kann nie einer von ihnen
     sein. Zu viele Dinge sind passiert, die er nicht vergessen kann.
    Sie denkt, er trauert um den Hund, und sie streicht ihm übers Haar und flüstert ihm Zärtlichkeiten ins Ohr. Ja, du wirst Hund
     vermissen, denn es wird nie wieder einen so wunderbaren Hund geben wie ihn. Aber es ist nicht nur wegen Hund. Es ist diese
     besondere Wehmut, die sich am Ende einer Reise einstellt. Denn erst wenn man seinen Bestimmungsort erreicht, merkt man, dass
     der Weg hier gar nicht zu Ende ist.
    »Komm, Andrij! Sei nicht traurig!«
    Sie winkt ihn hinter sich her, dann springt sie die Stufen hinunter, wo das Wasser in Kaskaden durch steinerne Kanäle gurgelt,
     und Dutzende von Fontänen wie Geysire aus dem Boden spritzen. Außer einem Pärchen auf einer Bank, das sich küsst, ist keiner
     hier. Sie nimmt seine Hand und zieht sie hinter ihren Rücken, drückt sich an ihn.
    »Auch wenn er wirklich ein toller Kerl war, er war trotzdem nur ein Hund, Andrij.«
    Er hält sie fest. Warm und geschmeidig liegt sie in seinen Armen.
    »Rock und die Krieger haben ihr Leben der Rettung von ein paar Findlingen gewidmet, Irina. Natürlich kannst du sagen, es sind
     nur Steine, aber es geht darum, wofür sie stehen. Wie dieser Jimmy sagen würde, die Opfer der Globalisierung.«
    »Ist Hund ein Opfer der Globalisierung?«
    »Sei nicht albern. Du weißt genau, was ich meine.« Manchmal nervt es, dass sie nie ernst sein kann. »Mein Vater ist gestorben   …«
    »Aber du lebst, Andrij. Daran solltest du denken.«
    |377| »Das tue ich auch. Und dann frage ich mich, warum ich überlebt habe und er sterben musste.«
    »Du bist nicht schuld an seinem Tod, Andrij. Glaubst du, er würde wollen, dass du immer traurig bist, dass du immer über der
     Vergangenheit brütest? Die Zukunft wird anders.«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Andrij   …«
    »Was?«
    »Deine Unterhose sieht schon aus wie die der Krieger.« Sie kichert.
    »Und wenn schon. Du hältst dich immer mit
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