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Caravan

Titel: Caravan
Autoren: dtv
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mit Seufzern der Lust verwechselte.
    Normalerweise bringt Jola ein Pflückerteam mit, das sie zu Hause in Zdroj anheuert, denn nachdem die Hutfabrik geschlossen
     wurde, gab es immer Leute, die dringend Geld brauchten, aber in diesem Jahr wollte keiner mitkommen, denn jetzt, wo Polen
     in Europa ist, warum sollte da jemand für diese Bezahlung arbeiten, wenn sich besseres Geld legal verdienen lässt? Drei Freundinnen,
     die erst mitkommen wollten, haben sie im letzten Moment hängen lassen, und so hat sie nur Marta und Tomasz mit nach England
     gebracht. Der Knödel musste zusätzliche Arbeiter finden, auf zwielichtigen Wegen, und dann hat er sogar angedeutet, er würde
     ihren Vertrag nicht verlängern. Das soll er sich nur trauen – mal sehen, was seine Frau dazu zu sagen hat.
    Vorarbeiterin sein ist nicht so einfach, wie man vielleicht denkt. Sie muss sich mit allen möglichen Typen auseinandersetzen.
     Dieser Tomasz zum Beispiel, der ihr die ganze Zeit schöne Augen macht, was an sich nicht überraschend ist, |41| denn sie wird gemeinhin für eine attraktive Frau gehalten, aber schließlich ist er zum Erdbeerpflücken hier, und nicht wegen
     anderer Aktivitäten, für die es in Polen weiß Gott genug Möglichkeiten gibt.
    Oder Marta, ihre Nichte – deren heiligmäßiges Getue einem wirklich alle Religion verleiden kann.
    »Geht es dir nicht gut, Ciocia?«, hat sie gefragt, als sie das erste Mal sah, wie Jola auf dem Boden lag, die wohlgeformten
     Beine ausgestreckt, mit geschlossenen Augen, und tief ein- und ausatmete.
    »Ich lasse die Sonne in mich eindringen, damit sie mich von innen wärmt wie ein guter Ehemann. Warum versuchst du es nicht
     auch mal, Marta?«
    »Wofür brauche ich die Sonne zum Ehemann?«, hat Marta naserümpfend gefragt. »Mich wärmt von innen der Geist des Herrn.«
    Wahrscheinlich ist die übertriebene Frömmigkeit nicht Martas Schuld. Sie muss sie von ihrer Mutter haben, Jolas Schwester,
     die, auch wenn es sehr lieb ist, dass sie sich um Mirek kümmert, wirklich äußerst nervtötend sein kann. Es ist eine Sache,
     in die Kirche zu gehen und für die eigenen Sünden um Vergebung zu bitten, aber anderen Leuten ihre Fehltritte unter die Nase
     zu reiben, das ist etwas anderes.
    Und wo wir gerade bei Nasen sind, natürlich ist es nicht Martas Schuld, dass ihre Nase so groß ist, aber vielleicht ist ihr
     Urteilsvermögen deswegen so schlecht, wenn es um Männer geht, denn sie scheint sich zu den unpassendsten Typen hingezogen
     zu fühlen und zu offenkundigen Sündern, wie Vitali zum Beispiel. Ja, Jola hat gesehen, wie Marta ihn auf dem Feld anschaut,
     und sie will nicht, dass das arme Mädchen ausgenutzt wird. Die Sorte Mann kennt sie zur Genüge. Mit so einem ist sie verheiratet
     gewesen.
    Was die Neue angeht, Irina, die ist viel zu freigebig mit |42| ihrem Grübchenlächeln, und Jola hat auch bemerkt, dass der Knödel sie länger als nötig ansieht. Sie pflückt Erdbeeren, die
     mehr weiß als rot sind, und wenn Jola sie höflich darauf hinweist, wird sie frech, und sie rümpft die Nase, wenn Jola versucht,
     ihr die richtige Pflücktechnik beizubringen, die so geht: man muss die Erdbeeren mit der hohlen Hand von unten umfangen, nie
     mehr als zwei, wie die Hoden eines Mannes. Nicht quetschen, Irina!
     
    Okay, ich gebe zu, dass ich nicht die schnellste Erdbeerpflückerin war, aber das brauchte ich mir nicht von der herrschsüchtigen
     polnischen Tante auf diese vulgäre Art sagen zu lassen.
    Es war mein vierter Tag, und die Rücken- und Knieschmerzen, jedes Mal, wenn ich mich auf Erdbeerhöhe bückte, waren unerträglich.
     Und wenn ich mich wieder aufrichtete, knarrten und ächzten meine Knochen wie bei einer alten Frau.
    Der junge Ukrainer tat heimlich Erdbeeren in meine Körbchen, wenn die Männerreihen und die Frauenreihen zusammenkamen, was
     nett von ihm war, aber ich wünschte, er würde mich nicht so anstarren. Einmal, als ich mich hinsetzte, um auszuruhen, setzte
     er sich neben mich und steckte mir eine Erdbeere in den Mund. Ich konnte sie ja schlecht ausspucken, oder? Aber er soll sich
     bloß nichts einbilden, ich bin nicht den ganzen Weg hierhergekommen, um meine Zeit damit zu vergeuden, die Annäherungsversuche
     eines Bergmanns aus dem Donbass abzuwehren.
    Mir hat es gereicht, die Jungs in der Schule abzuwehren. Die meisten waren primitive Kerle, die einen die ganze Zeit begrapschen
     wollten – nicht sehr romantisch. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung von
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