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Caravan

Titel: Caravan
Autoren: dtv
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nachzudenken, das
     ich schreiben werde, wenn ich nach Hause komme. Aber man braucht schließlich eine interessante Geschichte, oder? Etwas Interessanteres
     als ein paar Erdbeerpflücker, die in zwei Wohnwagen leben.
     
    Mit schmalen Augen beobachtet Jola, wie die kleine Ukrainerin durch die Erbeerreihen schlendert, als hätte sie alle Zeit der
     Welt, um ihre Körbchen voll zu machen. Auf dem Erdbeerfeld ist es die Rangfolge beim Check-in, auf die es ankommt. Mehrmals
     am Tag zählt der Bauer die Tabletts mit den Körben durch, checkt sie ein, stapelt sie auf Paletten im Containerbau und schreibt
     auf, wer was verdient hat. Die Frauen verdienen im Allgemeinen weniger. Die Männer verdienen mehr. Der Vorarbeiter verdient
     natürlich am meisten.
    Jola ist sowohl Anführerin der Gruppe als auch Vorarbeiterin. Als ehemalige Lehrerin verfügt sie über eine natürliche Autorität,
     und sie ist eine Frau der Tat. Sie glaubt fest daran, dass eine entspannte sexuelle Harmonie im Pflückerteam der Schlüssel
     zum Erfolg ist, und aus diesem Grund sieht sie es gern, wenn die Männer in der Sonne das Hemd ausziehen.
    Sie sieht es nicht gern, wenn hinter ihrem Rücken genörgelt oder gelästert wird, vor allem nicht unter den Ukrainern, jetzt,
     wo zwei von ihnen da sind. Nicht dass sie etwas gegen Ukrainer hätte, aber sie ist der Überzeugung, dass der Höhepunkt der
     ukrainischen Zivilisation die kurze Zeit unter polnischer Herrschaft war, auch wenn die zivilisierende Wirkung dieser Zeit
     eindeutig zu kurzlebig und oberflächlich war. Um fair zu sein, dieser Ukrainer Andrij ist ein richtiger Kavalier und ein guter
     Pflücker, aber er ist ein bisschen launisch, und er denkt zu viel nach. Das tut den Männern nicht |39| gut. Er sieht nicht übel aus, obwohl er natürlich viel zu jung für sie ist, denn sie gehört nicht zu der Sorte Frau, die einen
     Jungen verführt, der halb so alt ist wie sie, auch wenn sie in Zdroj ein paar solche Frauen kennt, aber davon wird später
     die Rede sein.
    Ja, wenn es nur mehr so gute Pflücker gäbe. Keiner versteht die Probleme, mit denen sie sich herumschlagen muss, denn ihr
     Verdienst hängt nicht nur von ihrem eigenen Einsatz ab, sondern auch von der Leistung dieses nichtsnutzigen Teams, dessen
     Vorarbeiterin sie ist. Sie sagt ihnen – aber wer hört ihr schon zu?   –, dass die Erdbeeren genau zum richtigen Zeitpunkt gepflückt werden müssen. Zu weiß, und der Bauer nimmt sie nicht. Zu reif,
     und die Abnehmer beschweren sich. Außerdem muss man sie richtig behandeln, sie sanft in den Korb legen, nicht schmeißen. Das
     sagt sie ihnen, aber sie machen einfach genauso weiter wie vorher. Wirklich, langsam ist sie zu alt für dieses Spiel.
    Dies ist ihr zweiter Sommer als Vorarbeiterin, ihr siebter Sommer in England und der siebenundvierzigste Sommer ihres Lebens.
     Allmählich fängt sie an zu glauben, dass sie genug hat. In sieben Sommern hat sie fast fünfzig Tonnen Erdbeeren für den Knödel
     gepflückt, und mit dem Verdienst, zusammen mit dem Extrageld, das sie für zusätzliche Dienste privater Natur erhält, hat sie
     einen hübschen Bungalow kaufen können, drei Zimmer, am Rand von Zdroj, mit einem halben Hektar Garten, der bis hinunter zur
     Prosna geht, wo ihr Sohn Mirek nach Herzenslust spielen kann. In der Handtasche hat sie ein Foto von Mirek, er sitzt auf der
     Schaukel, die an einem blühenden Kirschbaum hängt. Ach, diese kleinen strahlenden Augen! Als er zur Welt kam, musste sie eine
     schwere Entscheidung treffen – ihren Beruf aufgeben oder ihn in ein Heim geben. Doch sie weiß, wie solche Heime aussehen,
     besten Dank. Dann hat ihr jemand in der Schule erzählt |40| , dass sie Erdbeerpflücker für England anheuern, und ihre Schwester erklärte sich bereit, den Sommer über auf Mirek aufzupassen,
     und so hat sie die Chance wahrgenommen. Welche Frau der Tat mit begrenzten Möglichkeiten hätte nicht das Gleiche getan?
    Letzten Herbst hat sie einen Teil des Erdbeergeldes in ein Paar masurische Ziegen investiert, und dieses Jahr hüpfen zwei
     schneeweiße Kitze im Garten herum, blöken und purzeln durcheinander, knabbern an den Dahlien und richten reichlich Chaos an.
    An die Kitze hat sie auch gestern Abend gedacht, als sie im Stroh auf der Pritsche des Landrovers lag und an die schwankende
     Decke starrte, während der Knödel sich schnaufend auf ihr abmühte. Sie hatte in sich hineingelächelt und leise das Blöken
     nachgemacht, was der Knödel prompt
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