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Canard Saigon (German Edition)

Canard Saigon (German Edition)

Titel: Canard Saigon (German Edition)
Autoren: Harald Friesenhahn
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verarbeitete.
    „Und ..., und du, Karl? Was ist mit dir?“, fragte Frieda.
    Karl Wagner nahm seine Mutter bei den Händen, schaute ihr sekundenlang tief in die Augen und sprach dann mit traurigem, aber entschlossenem Ton in der Stimme.
    „Ich muss weg, Mama. Ich muss abhauen. Und ich muss sofort weg, Mama. Ich habe nur diese einzige kleine Chance. Ich muss augenblicklich verschwinden, Mama. Und niemand darf wissen wohin, auch du nicht, Mama.“

Wien, Dienstag, 13. April 2010, 22.05 Uhr
    Sie blieb einen Augenblick stehen und zupfte am Rock ihres eleganten rosafarbenen Kostüms. Mit der linken Hand wischte sie einige Strähnen ihres halblangen dunkelbraunen Haares hinters Ohr und setzte ihren Weg fort. Dem jungen Mann, der ihr die Glastür offen hielt, schenkte sie ein dankbares Lächeln und verließ die U-Bahn-Station Rennbahnweg. Das Licht der Straßenbeleuchtung schien ihren bronzefarbenen Teint mit Goldstaub zu überziehen. Die Perlenkette um ihren Hals und die dazupassenden Ohrringe unterstrichen ihre elegante Erscheinung. Ihre makellose, zierliche Figur zog die Blicke der vorbeieilenden männlichen Passanten magisch an. Sie wusste um ihre Wirkung auf Männer. Und es war ihr peinlich. Den Blick ihrer schwarzen Augen auf den Boden gerichtet, vermied sie jeden Augenkontakt, während sie nach Hause ging. Die Wohnung in der Silenegasse hatte ihr Dr. Richard Klein besorgt. Den Stationsarzt der Chirurgischen Ambulanz im Maria-Theresia-Spital hatte sie vor drei Jahren kennengelernt. Er hatte ständig ihre Nähe gesucht. Und die Dienstpläne so erstellt, dass sie möglichst oft zusammen arbeiteten. Sie, die bildhübsche 25-jährige Krankenschwester, die drei Monate zuvor aus Manila nach Wien gekommen war, und er, der gut aussehende junge Arzt aus Wien. Sie hatte sich geschmeichelt gefühlt und sich in eine Affäre gestürzt, die sich wie ein schlechter Roman entwickelte. Er war verheiratet und Vater eines Sohnes. Anfangs hatte er ihr unentwegt versichert, wie sehr er sie liebe und dass er die Scheidung von seiner Frau anstrebe. Mit der Zeit hatte er kalte Füße bekommen. Als er begriffen hatte, dass er sich eine Scheidung weder finanziell noch beruflich leisten konnte, war die Liebe erkaltet. Heute waren ihre Dienstpläne verschieden. Und ihre Treffen waren unregelmäßig. Sie wusste, dass ihre Beziehung am Ende war.
    Als sie in die Lieblgasse einbog, ballte sie unwillkürlich die Faust ihrer rechten Hand um den Trageriemen ihrer weißen Ledertasche. Die Straße war um diese Zeit, 15 Minuten nach zehn Uhr abends, nicht sehr belebt. Vor einem halben Jahr hatten sie hier einige Skinheads angepöbelt. Der Vorfall war glimpflich ausgegangen, aber seither hatte sie ein ungutes Gefühl, wenn sie nachts diese Straße entlanglief. Sie wechselte die Straßenseite und lächelte unwillkürlich, als sie ihre eigenen Schritte hörte. Die neuen weißen Schuhe waren noch nicht eingelaufen. Die hohen Absätze klapperten hörbar auf dem harten Untergrund. An der nächsten Straßenecke bog sie links in die Puchgasse ein. Seit hier im September eine neue Polizeiinspektion eröffnet worden war, fühlte sie sich auf diesem Weg sicherer. Ihr neuer Heimweg führte über die Puchgasse, rechts in die Maculangasse und quer über die Tillmanngasse. So erreichte sie die Rückseite ihres Wohnblocks. Die Puchgasse, die durch ein Gewerbegebiet ohne Wohnhäuser verlief, war menschenleer, als sie an der hell erleuchteten Polizeiinspektion vorbeiging.
    Sie hasste diese Dienstage. Seit einem Jahr war sie zusätzlich zu ihrem normalen Dienst auch als Lehrerin in der Schule für Gesundheits- und Krankenpflege am Maria-Theresia-Spital tätig. Jeden Dienstag unterrichtete sie in einem Abendblock praktische Krankenpflege. Und regelmäßig ärgerte sie sich über die wenig motivierten angehenden Krankenpflegerinnen. Auch heute hatte sie versucht, ihren Schülern zu erklären, wie wichtig die einzelnen Handgriffe für eine effiziente Pflege waren. Anstatt den Frühlingstag zu genießen, musste sie sich mit rotzfrechen Mädchen herumschlagen. Sie erinnerte sich an die Auseinandersetzung mit einer Schülerin, die nur blöde Bemerkungen von sich gab. In ihrem Kopf spielte sie den Dialog mit dieser Schülerin noch einmal durch und ärgerte sich, dass ihr – wie so oft – nicht die passenden Worte eingefallen waren.
    Sie kam nicht mehr dazu, den Gedanken abzuschließen.
    Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf sie der Stromschlag. Der Schmerz betäubte ihre
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