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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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Das Buch gefällt ihr (hurra!), obwohl sie - wie zu erwarten - Anstoß an den Fetisch-Gedichten nimmt. Außerdem sind ihr die Anspielungen auf Rilke entgangen, mit denen ich mir so viel Mühe gegeben habe. Schade! Während ich die Besprechung las, jagte mir der Arzt eine Spritze in den Oberschenkel. Es fühlte sich an wie tausend ccm schleimige Flüssigkeit.
    Aber ich war so glücklich, daß es mich kaum störte. Eine Rezension! Ich existiere also noch! Muß mich bei der Mons bedanken. Vielleicht gibt R. M. den Brief für mich auf. Vielleicht kann ich sogar wieder arbeiten!

    17. Mai
    Die beiden Schwulen, mit denen wir, der Mafioso und ich, mißvergnügt unsere Zelle teilen (man beachte, daß ich nicht von ihrer Zelle spreche!), reden plötzlich nicht mehr miteinander. Donny sitzt den ganzen Tag auf dem Klo und trommelt Blues. Peter brütet auf dem Bett vor sich hin. Manchmal beklagt sich Donny laut bei mir über Peters (tatsächliche oder angebliche) Promiskuität. (Wann haben sie hier schon Gelegenheit zur Untreue?) Donny, jünger als Peter und schwarz, wirkt feminin, sogar in seiner Boshaftigkeit, die ebenso raffiniert wie fruchtlos ist. Peter ist für seine dreißig Jahre noch sehr attraktiv, wenngleich sein Gesicht verschlissen wirkt. Beide sind wegen Rauschgiftvergehen hier, aber Peter kann sich rühmen, schon einmal unter Mordanklage gestanden zu haben. Er macht den Eindruck, als bedauere er seinen Freispruch. Ihre Leidenschaft füreinander wirkt in dieser Umgebung nicht gerade überzeugend: Wenn du und ich die beiden einzigen Jungs auf der Welt wären ... Jetzt ist noch jemand boshaft geworden!
    Ich muß zugeben, daß ich dergleichen auf der Bühne erträglicher finde - bei Genet zum Beispiel. Meine Toleranz versagt angesichts der Wirklichkeit.
    In dieser Situation ist es ein Vorteil, daß ich dick bin. Keinen, der Augen im Kopf hat, würde es nach diesem Körper gelüsten.
    Ich habe einmal vorgehabt, ein Buch zum Trost für Dicke zu schreiben: Fünfzig berühmte Fettwänste. Dr. Johnson, Alfred Hitchcock, Salinger, Thomas Aquinas, Melchior, Buddha, Norbert Wiener u. a.
    Die Matratze quietscht heute nicht, aber immer wieder mischt sich in das Schnarchen des Mafioso ein Seufzer Donnys oder Peters.

    18. Mai
    Heute abend eine Stunde mit dem jungen Rigor Mortis verbracht. Daß ich ihm diesen Spitznamen gegeben habe, hat er eigentlich nicht verdient. Denn er ist der einzige hier, mit dem ich mich gewissermaßen angefreundet habe. Bei aller Sektiererei ist er ein ernst zu nehmender, gutwilliger Mensch, und unsere Gespräche sind, wie ich hoffe, mehr als rhetorische Übungen. Was mich betrifft, so empfinde ich über meinen Bekehrungseifer hinaus den fast verzweifelten Wunsch, R. M. verstehen zu lernen; denn es sind Leute wie er, die diesen unglaublichen Krieg am Leben erhalten und zweifellos überzeugt sind, damit eine moralische Pflicht zu erfüllen. Oder soll ich die Meinung unserer modernen Mills-Jünger (oder besser unserer Neo-Machiavellisten) akzeptieren, daß die Wählerschaft - die kleinen Fische dieses Weltdramas - nur als Instrument benützt wird und daß die geheimen Herren und Meister im Olymp von Washington die Wählermeinung ebenso mühelos manipulieren wie (zugegebenermaßen) die Presse?
    Vielleicht sollte ich mir sogar wünschen, daß es so wäre: Wenn man Menschen so leicht überreden könnte, dürften die wenigen Standfesten hoffen, daß einmal vielleicht auch ihre Stimme gehört wird. Tatsächlich aber ist es mir und den anderen Mitgliedern des Friedenskomitees bisher nicht gelungen, jemanden von dem Irrsinn und der Verworfenheit dieses Krieges zu überzeugen, der nicht insgeheim bereits der gleichen Meinung war und nur noch eine Bestätigung brauchte.
    Vielleicht hat Andrea recht; vielleicht sollte ich den Krieg den Politikern und Propagandisten überlassen - den sogenannten Experten. (Richtig, Eichmann galt als ›Experte‹ für die Lösung der Judenfrage. Er sprach immerhin Jiddisch!) Vielleicht sollte ich mich aus der Kontroverse heraushalten und meine Arbeit ausschließlich den Musen weihen.
    Und folglich meine Seele dem Teufel?
    Nein. Opposition ist zwar eine hoffnungslose Sache, aber Schweigen wäre schlimmer. Wie ist es Youngerman ergangen? Er hat geschwiegen, die Dinge laufenlassen, sein Gewissen geknebelt, hat ihm seine Ironie geholfen? Oder die Muse? Wenn du eine akademische Festrede halten willst und erleben mußt, daß die Hälfte der Zuhörer den Saal verläßt, wo, o Dichter,
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