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Camp Concentration

Camp Concentration

Titel: Camp Concentration
Autoren: Thomas M. Disch
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bleibt dann deine hochmütige Indifferenz? Und sein letztes Buch - so schlecht, so schlecht!
    Aber Youngerman war sich wenigstens über die Bedeutung seines Schweigens klar. Wenn ich mit R. M. rede, scheint mir sogar die Bedeutung der Sprache verlorenzugehen: Ich versuche, Bedeutungen zu erhaschen, und sie flitzen davon wie Elritzen in einem Gebirgsbach. Oder, um eine bessere Metapher zu gebrauchen, ich habe das Gefühl, vor einer jener Geheimtüren zu stehen, die in Gruselfilmen gezeigt werden. Sie sehen wie ein Bücherregal aus, aber wenn man den verborgenen Mechanismus auslöst, drehen sie sich um die eigene Achse, und eine Mauer kommt zum Vorschein. Ich sollte einmal versuchen, diese Idee weiter auszuspinnen.
    Eine letzte Bemerkung über R. M.: Wir verstehen einander nicht, und ich fürchte, wir werden es nie. Manchmal frage ich mich, ob der Grund dafür nicht einfach darin zu suchen ist, daß er sehr dumm ist.

    19. Mai
    Die Muse küßt mich - bezeichnenderweise in der höchst irdischen Tarnung eines von Kopfschmerz begleiteten Durchfalls. Auden hat irgendwo (im Brief an Lord Byron ?) geschrieben, daß ›ein Poet oft zu guten Ideen gelangt, wenn er, rumm-bumm-bumm, an Grippe erkrankt‹.
    Obwohl es fast paradox klingt, habe ich mich seit Monaten nicht so wohl gefühlt wie heute. Zur Feier des Tages will ich mein kleines Gedicht aufschreiben (eine sehr bescheidene Leistung, aber mein Gott, wie lange habe ich überhaupt nichts geschrieben!):

    DAS LIED DER SEIDENRAUPE

    Wie kann ich mich überwinden
    Hineinzukriechen in
    diesen Kasten aus Zedernholz
    Seht ihr nicht!
    Daß es noch zu früh ist
    Ich bin noch jung
    Der Tau hinter meinen Ohren
    Ist kaum getrocknet
    Worte können mein Leid
    Nicht beschreiben
    Und nicht mein Lied
    Lauscht dem Gesang
    Selbst die Steine sind sprachlos
    Vor Entzücken
    Wie kann ich mich überwinden
    Hinabzusteigen
    In diese Dunkelheit
    Und meine Seele zurückzulassen
    Lauscht dem Gesang
    Schmetterlinge
    Und Scherben
    Gehören in den Kasten
    Nein, nein, nicht ich
    Haltet ein mit dem Wirbel
    Von Schmetterlingen und Scherben
    O haltet ein

    [Hier endet der handschriftliche Teil von Louis Sacchettis Tagebuch. Die folgenden Passagen wurden mit der Maschine auf Papier anderen Formats und anderer Qualität geschrieben. - Der Herausgeber.]

    2. Juni
    Ich bin eingesperrt! Man hat mich aus dem Gefängnis, in das ich rechtmäßig eingewiesen worden war, entführt und in ein anderes gebracht, in das ich nicht gehöre. Rechtsberatung ist mir verwehrt. Meine Proteste ignoriert man mit einem milden Lächeln, das mich rasend macht. Seit der Tyrannei, die auf den Spielplätzen meiner Kindheit herrschte, habe ich keine ähnlich arrogante Mißachtung aller Spielregeln erlebt, und ich stehe ihr hilflos gegenüber. An wen soll ich mich wenden? Wie ich erfahren habe, gibt es hier nicht einmal einen Geistlichen. Nur Gott kann mich hören - und meine Wärter.
    In Springfield war ich aus einem bestimmten Grund und auf bestimmte Zeit eingesperrt. Hier (wo immer das sein mag) ist nichts bestimmt, gibt es keine Regeln. Ich verlange unaufhörlich, nach Springfield zurückgebracht zu werden, aber als einzige Antwort zeigt man mir ein Formular, auf dem Smede meine Überführung genehmigt hat.
    Zur Hölle mit Smede! Zur Hölle mit diesen unbekannten Kerls in ihren pompösen, schwarzen, nichtssagenden Uniformen! Zur Hölle mit mir selbst, weil ich dumm genug war, mich in eine Situation zu begeben, in der so etwas geschehen konnte! Ich hätte schlau sein sollen wie Larkin oder Revere, die sich verrückt stellten, um nicht eingezogen zu werden. Was hab’ ich jetzt von meiner Scheißmoral? Scheiße!
    Der Gipfel ist, daß der bejahrte, unbedarfte Kerl, dem ich regelmäßig vorgeführt werde, mich gebeten hat, Aufzeichnungen über meine Erlebnisse hier zu machen. Ein Tagebuch. Er sagt, er bewundere meinen Stil! Ich hätte eine echte Begabung für den richtigen Ausdruck, sagt dieser bejahrte, unbedarfte Kerl. Hilf Himmel!
    Seit mehr als einer Woche versuche ich, mich wie ein richtiger Kriegsgefangener zu verhalten - Name, Rang, Versicherungsnummer, Schluß - aber es ist das gleiche wie mit meinem Hungerstreik damals im Gefängnis von Montgomery: Wer nicht fähig ist, vier Tage hintereinander Diät zu halten, sollte keinen Hungerstreik beginnen.
    Da hast du dein Tagebuch, altes Arschloch! Was du damit tun kannst, weißt du.

    3. Juni
    Er hat sich bei mir bedankt, jawohl, bedankt. Er sagte: »Ich verstehe, daß Sie das alles
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