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Camorrista

Titel: Camorrista
Autoren: Giampaolo Simi
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Bauch und die Rippengegend, doch die großen Reifen fallen auseinander, und ich schaffe es, herauszuschlüpfen und wieder auf die Beine zu kommen. Beim Runterfallen hat der Reifenturm einen Meter vom Drahtverhau weggerissen, und ich springe hinüber.
    Ich laufe, und ich weiß nicht mal, wohin, verschwinde im weißen Nebel und hoffe, dass sie mich aus den Augen verlieren. Mit einem Mal gibt der morastige Boden nach, und ich versinke bis zur Hüfte. Sofort denke ich, ich muss mein Handy retten, und schiebe mich mit erhobenen Armen weiter durch den Schlamm. Der Tümpel ist flach, doch der Schlamm umfängt mich wie ein Polyp. Das Motorgeräusch des Autos hinter mir ähnelt einem Heulen. Ich klammere mich an einen Felsen mit gelbem Moos, ziehe mich aus dem Schlamm hoch und klettere rauf, rolle dann nach unten, mit geschlossenen Augen, die Büsche peitschen mir ins Gesicht. Vor mir taucht zwischen den Sträuchern eine kleine verfallene Hütte auf. Sie steht schief über einem in Stücke gebrochenen Sockel aus Beton. Ich verstecke mich gerade früh genug darin, um ins Handy zu schreien, dass ich in Blackdog bin, am Strand, dass sie mich verfolgen, dass sie mich töten wollen.
    Ich lege mich flach auf stinkende Pappe und in die Asche eines Feuerplatzes. Ganz nah höre ich das metallische Dröhnen des Geländewagens, der sich durch die umliegenden Dünen kämpft. Sie sind wenige Meter entfernt, sehr nah. Dann ruft irgendjemand was, und der Wagen entfernt sich.
    Hier sitze ich in der Falle. Ich werfe mich auf allen vieren in den Sand und krieche voran, ich weiß nicht, wie lange, während der Wind die Nebelbänke über den glatten, blassen Strand jagt.
    Ich hebe den Kopf und sehe zur Linken das Meer. Doch ich sehe auch die Motorhaube des Geländewagens hinter mir
aus den Dünen auftauchen. Ich versuche weiterzulaufen, mit meinen gequetschten Rippen, den vor Anstrengung schmerzenden Lungen. Vor mir wird es lichter, und ein dunkler Punkt taucht auf, verdichtet sich zu einem sonderbaren Fahrzeug mit großen Reifen.
    Ich bekomme keine Luft mehr, und da ist kein Nebel mehr, um mich zu verstecken. Ich taumle eher, als dass ich laufe, doch ich halte mich auf den Beinen. Ich wende mich dem Meer zu, gehe auf dem festen Sand, und der Wagen vor mir schlägt sofort diese Richtung ein, um meine Schritte zu kreuzen. Mein Verfolger tut das Gleiche.
    Es wäre mir lieber, an Erschöpfung zu sterben oder zu ertrinken, doch nicht einmal das wird mir gelingen. Sie werden mich zu fassen bekommen und mich umbringen. Ich schließe die Augen und bleibe stehen.
    Als ich die Augen wieder öffne, ist das Fahrzeug mit den großen Reifen so nah, dass ich eine blaue Schrift auf weißem Untergrund lesen kann. »Police«. Die beiden Männer in Uniform springen runter, ohne den Motor auszumachen, und fragen mich, ob alles in Ordnung ist. Ich drehe mich um und sehe den Geländewagen, der langsamer wird und weiterfährt, in die Dünen zurückkehrt.
    Ich kann gerade noch »Helfen Sie mir« flüstern, oder irgendwas in der Art, glaube ich.
    Dann ist es, als zögen sie dem elektrischen Mädchen den Strom raus. Und ließen es in der dunklen Umarmung eines unerforschlichen Abgrunds versinken, ohne dass es auch nur noch die Zeit hätte, zu weinen oder Angst zu haben.

5
     
     
    A uch wenn ich Montagnacht in einem Krankenhauszimmer wieder aus dem Dunkel aufgetaucht bin, während vom schwarzen Himmel glänzende Fluten gegen die Scheiben schlugen, hatte ich sofort das Gefühl, dass meine Tage im Abgrund nicht vorbei waren, nur weil ich die Augen wieder geöffnet hatte.
    Und auch als am Dienstag Reja und ein anderer Kollege kamen, um für meine Entlassung zu sorgen und mich zurück nach Italien zu bringen, habe ich verstanden, dass ich nicht zurück in meine Wohnung konnte. Dass ich nicht mehr wirklich einen Platz für mich hatte. Dass das Wort Rückkehr für mich keinen Sinn mehr ergab.
    Am frühen Dienstagabend gegen sieben hielt Reja vor dem Haus meiner Eltern und erklärte mir, dass ich für den Moment dort in Sicherheit sei. Auch weil ich unter Hausarrest stände und zwei meiner Kollegen den Ort ständig überwachen würden.
    »Hausarrest? Und weswegen?«, habe ich gefragt.
    »Begünstigung eines Flüchtigen«, hat er mir geantwortet.
    »Ich habe verstanden. D’Intrò hat beschlossen, mich fertigzumachen.«
    Reja hat mich angesehen, den Arm um die Kopfstütze gelegt.
    »Du hast gar nichts verstanden, Kollegin. Er hat beschlossen, dich zu schützen.«

    »Endlich
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