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Camorrista

Titel: Camorrista
Autoren: Giampaolo Simi
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schwarze Augenbrauen. Kleine, misstrauische Augen von einem, der nur jedes Schaltjahr mal lacht. Er schließt die Mappe und räuspert sich.
    »Wir haben ihn am frühen Morgen aufgegriffen, in einem verlassenen Zigeunerlager. Mastronero hatte sich in einem Wohnwagen versteckt, den er mit seinen Komplizen benutzte, um, wie er es nannte, bestimmte Probleme bei der Arbeit zu lösen. Hier sind die Fotos der Inaugenscheinnahme und eine unvollständige Liste des sichergestellten Materials.«

    Er reicht mir ein Dutzend zusammengehefteter Blätter.
    »Wollen Sie einen Blick darauf werfen? Bitte.«
    (Ich lege keinen Wert darauf.)
    »Danke.«
    Sie sehen mich alle drei an, mehr oder weniger aufmerksam. Es ist ein Test. Und aus den Schaukästen, ohne erkennbare Ordnung an den Wänden aufgestellt, starren mich die traurigen Augenhöhlen leerer Schädel an.
    Die Fotos hat man von eins bis fünfundzwanzig durchnummeriert. Die Wände und der Boden des Wohnwagens sind übersät mit Spritzern. Weitere Aufnahmen zeigen eine Autobatterie mit Kabeln und Klemmen, eine Nagelzange, weiße Plastikflaschen, einen Schuh. Ich überfliege die Auflistung des sichergestellten Materials: »2 große Zehennägel, ganz; 1 distales Zehenglied, an einem Ende zerquetscht; 5 Knorpelfragmente einer Hörmuschel; 1 Stück Kopfhaut, rechteckig, ungefähr 3,5 cm × 1,2 cm mit ausgefransten Rändern …«
    Ich schließe das Dossier. Der Mann in Blau scheint nicht die Absicht zu haben, weitere Ausführungen zu machen, vielleicht erwartet er, dass ich etwas sage, aber ich enttäusche ihn. Ich schaue zuerst ihn an, dann die beiden anderen, die in einer Reihe mir gegenüber an dem langen Tisch mit Marmorplatte sitzen. Dann rücke ich den Ausschnitt meines T-Shirts zurecht und lasse die Glieder meines Quarzarmbands durch die Finger gleiten, als wäre es ein kleiner Rosenkranz. Ich sehe auf die Uhr: Es ist zwei. Über uns brennt die Sonne auf die Dachziegel, und hier drinnen ist die Luft abgestanden.
    »Wollen Sie etwas hinzufügen, Dottor Alamanni?«, fragt der Mann in Blau den Typen, der zu seiner Linken sitzt. Rosa Polohemd, um die vierzig, bisher hat er seinen Blick auf den Spalt des angelehnten Fensters gerichtet und dabei auf einem Bügel seiner Brille herumgekaut. Er ist Psychologe, kommt von der Zentrale in Rom. Bevor er etwas sagt, seufzt er und reibt sich die Lider.
    »Mastronero ist ein ausgesprochen asozialer Charakter mit
paranoiden Zügen. Er weist eine starke psychische Unausgeglichenheit auf, die wahrscheinlich mit gewohnheitsmäßigem Drogenkonsum in Verbindung steht. Die Abstinenz von Drogen und der Verlust seines - wenn wir so wollen - normalen Bezugsrahmens können bei ihm zu depressiven Spitzen führen, deren Beschaffenheit und Schwere nicht leicht vorherzusehen sind.«
    Schlimmer konnte es für mich beim ersten Auftrag nicht kommen. Ich nicke, würde aber am liebsten aufstehen und gehen.
    »Wann trifft er hier ein?«, frage ich.
    Der andere antwortet mir, der zur Rechten.
    »Heute Nacht. Nicht vor eins, glaube ich.«
    Hemd mit orangefarbenen Streifen, das er über der Hose trägt, fitnessgestählte Figur und das Gesicht eines Draufgängers (der Netteste von den Dreien, würde ich sagen: jedenfalls hat er mich sofort geduzt). Er heißt Reja, ist Sovrintendente, im Grunde ist er der Verbindungsoffizier zwischen der Zentralen Abteilung Zeugenschutz und der regionalen Polizeieinheit, zu der ich von heute an offiziell gehöre.
    »Wird er allein hierher überstellt?«
    »Ja.«
    »Frau und Kinder stehen nicht unter Schutz?«
    Der Psychologe räuspert sich. Der Typ im blauen Anzug antwortet mir, als er schon die Hände auf den Tisch gestützt hat, um aufzustehen. Er trägt einen goldenen Ring, breiter als ein Ehering, und außerdem hat er ihn am Mittelfinger.
    »Daniele Mastronero ist vergangenen Monat achtzehn geworden.«
     
    Zwischen den irgendwie ungeordnet zusammengestellten Skeletten sind Reja und ich allein zurückgeblieben. Der Sovrintendente geht von einem der großen Schaukästen zum anderen, um sich die Beine zu vertreten. Er hat dreihundert Kilometer zurückgelegt, die anderen beiden wohl noch mehr. Interessiert schaut er sich den Mammutschädel an, der
an zwanzig Zentimeter breiten Ledergurten von der Decke herunterhängt (allein auf dem Stoßzahn könnten bequem ein Dutzend Kinder sitzen).
    »Was ist denn ein Fläschchen ?«, frage ich. (Man ist halt neugierig.)
    »Mehr oder weniger Acid aus LSD, Kokainbase und Bikarbonat. Sie stellen es
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