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Camorrista

Titel: Camorrista
Autoren: Giampaolo Simi
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enden werden.
    Und inzwischen überholt uns das dunkle Auto ein weiteres Mal. Sie sind immer noch zu zweit, und der auf dem Beifahrersitz dreht sich um, da bin ich mir sicher. Sie haben kein britisches Nummernschild, und das rechte Standlicht ist schwächer.
    Raffaela hat aufgehört zu weinen, aber sie will nichts davon wissen, sich zu beruhigen, sagt, sie hat in zehn Tagen drei Kilo für diese Modenschau abgenommen. Hauptkommissar D’Intrò gelingt es jeweils nur für wenige Sekunden, zu Wort zu kommen.

    Das Auto hat uns überholt, doch es entfernt sich nicht, verschwindet nicht im Dunkel.
    »Wo ich bin? Unterwegs zum Flughafen. Das heißt, ich suche mir ein Zimmer, und morgen nehme ich dann ein Flugzeug und komme zurück, was soll ich noch hier? Mit wem ich zusammen bin? Mit deiner Kollegin, die du auf mich angesetzt hast. Sie bringt mich zurück in die Stadt, morgen früh nehme ich das Flugzeug. Jetzt spiel nicht den Unschuldigen. Was meinst du damit, wer sie ist? Rosa heißt sie. Die war doch sogar schon mal bei uns in der Wohnung. Soll ich sie dir geben?«
    Doch wie es scheint, will Hauptkommissar D’Intrò nicht mit mir sprechen. Er hat mir nichts zu sagen. Und ich ihm auch nicht mehr. Sie hingegen hat ihm noch viel zu sagen.
    Die Telefonkarte muss aufgeladen werden, die Prepaid-Kreditkarte ist leer, und für morgen muss ein Flug gebucht werden.
    Zwanzig nach elf. Zu unserer Linken sieht es aus, als würde der Tag anbrechen, eisig und unnatürlich wie eine Anästhesie. Doch es ist nur ein riesiger Ölterminal. Aber wenigstens ist es ein Zeichen, dass uns das Dunkel ausgespuckt hat. Jetzt gilt es, zum nächsten Hotel zu kommen, ohne die Hauptstraßen zu verlassen.
    D’Intròs Tochter zieht sich die Stiefel aus, massiert sich die Füße und schließt die Augen.
    »Wie scheißlang brauchen wir denn noch?«
    »Wir sind so gut wie da«, sage ich.
    Eine große beleuchtete Brücke erinnert an die Golden Gate in San Francisco.
    »Was glauben die denn? Dass sie Amerika sind, diese Penner?«
    In einem großen Kreisverkehr erkenne ich das dunkle Auto mit dem defekten Scheinwerfer wieder. Es fährt langsamer und hält an der Seite an, ohne zu blinken. Ich folge dem Schild ins Stadtzentrum und überhole es rechts. Ein paar hundert Meter lang beobachte ich es im Rückspiegel. Es bleibt, wo es ist.

    »Scheiße, was machst du denn, pass doch auf!«
    Ich bremse einen halben Meter hinter einem Lieferwagen. Die dumme Kuh plappert irgendwas, ich denke nur, dass sie uns fahren lassen. Sie sind uns all diese Kilometer gefolgt, und dann lassen sie uns einfach so abhauen?
     
    Sie ist in ihr Zimmer gegangen, ohne auch nur gute Nacht zu sagen. Nicht dass das irgendeine Rolle spielte, verglichen mit dem ganzen Rest. Angesichts der Tatsache, dass ich, als ich Cocíss’ Vater gefunden habe, der Tochter D’Intròs begegnet bin. Und dass der Hauptkommissar irgendwelche Leute »am Arsch kriegen« soll. Und irgendwelche Lokale schließen. Immer noch weiß ich mehr Dinge nicht, als ich meine, verstanden zu haben.
    Ich bin im sechsten Stock, und aus meinem Hotelzimmer sehe ich die Lichter des Kontrollturms am Flughafen. Der Tag ist noch fern, der Parkplatz liegt verlassen da, die Glasfenster sind dunkel. Ein bisschen Regen spritzt an die Scheibe, und ich kann die letzte Entscheidung nicht verschieben.
    Ich habe Ferreras Schlüssel auf den Nachttisch gelegt, neben das Telefon.
    Fahre ich morgen nach Blackdog oder nicht? Ist dieses zufällige Zusammentreffen nichts als ein schlechtes Vorzeichen? Ich dort allein, und der Kampfhund wütend. Ich habe nicht einmal eine Pistole. Ich habe nicht die geringste Hoffnung, ihn nach Italien zurückzubringen. Ich habe niemanden auf meiner Seite.
    Das Flugzeug nach Italien steht vielleicht schon im Hangar. Der Flug geht am frühen Morgen, und einen Moment lang scheint mir alles einfach. Als ich mir ein Wasser aus der Minibar hole, meine blauen Flecken zähle und die Schmerzen registriere, die mich bei jedem Atemzug quälen.
    Ich habe niemanden mehr auf meiner Seite. Weder hier noch in Italien.
    Ich gehe ins Bad und erinnere mich daran, mich nicht im Spiegel anzuschauen, um nicht das rote K sehen zu müssen,
das mich verunstaltet. Das Zeichen meiner Schuld, das noch blutet.
    Ich habe niemanden mehr auf meiner Seite.
    Aber Cocíss hat sich meinen Namen in die Haut geritzt.
     
    Um halb sieben stelle ich meine Tasche in den Kofferraum. Die Autos sind triefend nass, der Asphalt schwitzt Feuchtigkeit aus,
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