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Calling Crystal

Calling Crystal

Titel: Calling Crystal
Autoren: Joss Stirling
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Schieb mir mal deinen Teller rüber. Dieser Käsekuchen ist v. A.«
    »Wie?«
    »Vom Allerfeinsten.«
    Meine Schwester seufzte und verkniff sich die Bemerkung, dass ich mit meinen schlappen ein Meter achtzig auf mein Gewicht achten sollte. Nicht dass ich fett war, aber – wie sagte sie doch gleich immer? –, ach ja, ich war eine Amazone verglichen mit meinen Schwestern, die alle Durchschnittskonfektionsgröße trugen. Mir war das schnuppe. Wem hätte ich schon gefallen wollen? Mich fragten nie irgendwelche Jungs, ob ich mit ihnen ausgehen wollte, weil ich sie alle überragte und sie Angst vor den Spötteleien hatten. »Riesenbaby« war noch der netteste Name, den ich auf dem Internat, das ich in England besucht hatte, ertragen musste.
    »Crystal, glaub nicht, dass ich dich nicht verstehe. Es war entsetzlich, dass du Dad mitten im Abschlussjahr verloren hast«, fuhr Diamond sanft fort.
    Ich kratzte eine weitere Gabelspitze voll Dessert zusammen und trotzte dem aufwallenden Schmerz, den ihre Bemerkung in mir auslöste. Entsetzlich umschrieb nicht mal im Ansatz, welche emotionalen Höllenqualen ich durchlebt hatte. Er war mein einziger Bewunderer in der Familie gewesen und hatte mir immer beigestanden, wenn ich zu meinem Nachteil mit meinen sechs älteren Geschwistern verglichen worden war. Er hatte meine Körpergröße liebenswert gefunden und mich sein »kleines Mädchen« genannt, obwohl ich die kahlen Stellen inmitten der Locken auf seinem Kopf sehen konnte, wenn wir nebeneinanderstanden. Kein Wunder, dass ich meine Abschlussprüfungen in den Sand gesetzt hatte. Sein Tod hatte den besten Teil von mir mit sich genommen.
    Diamond berührte mich sacht am Handrücken, versuchte, mich zu trösten, doch mein Kummer war unerreichbar für solche Gesten. »Mama hat mich gebeten, auf dich aufzupassen. Sie würde nicht wollen, dass ich dich auf der Stelle treten lasse. Sie würde wollen, dass du etwas anstrebst, was du wirklich machen möchtest.«
    »Diamond, netter Versuch. Wir wissen beide, dass Mama vom Großziehen ihrer anderen sechs Kinder viel zu ausgelaugt ist, um sich wegen mir noch groß Sorgen zu machen.« Diamond war die sechstjüngste unserer siebenköpfigen Geschwisterschar und ich warzehn Jahre nach ihr auf die Welt gekommen, zur großen Überraschung aller, vor allem meiner Mutter, die geglaubt hatte, jenseits des gebärfähigen Alters zu sein. »Sie ist eine begeisterte Oma. Wie viele sind’s mittlerweile?«
    »Zwölf insgesamt: Topaz hat sechs, Steel zwei, Silver eins und Opal drei.«
    »Zum Glück hast wenigstens du noch den Durchblick; ich bin echt eine lausige Tante. Zwölf süße Enkelkinder zum Verwöhnen, ohne dass sie die Verantwortung tragen muss – Mama wird wegen mir also wohl kaum schlaflose Nächte haben.«
    Diamond, die ewige Schlichterin, schüttelte den Kopf. Sie reckte den Finger in die Höhe und prompt brachte uns der Kellner die Rechnung. »Mama macht sich sehr wohl Sorgen um dich, aber sie ist gesundheitlich ziemlich angeschlagen. Seit Dads Tod.«
    »Aha, deshalb ist sie also auch zu Topaz in die Einliegerwohnung ohne zweites Zimmer gezogen, was?« Hör dir doch nur mal selbst zu, Crystal. Ich klang so verbittert. Das musste ein Ende haben. Meine Misere war nicht Diamonds Schuld. Mit Dads Tod hatte Mama nicht nur ihren Ehemann, sondern auch ihren Seelenspiegel verloren, so nannten wir Savants unseren Lebenspartner. Ich verstand die ganze Sache zwar nicht wirklich, weil ich selbst keinen hatte, aber ich wusste vom Verstand her, dass das für einen Savant dem eigenen Tod gleichkam. Als Dad gestorben war, hatte sich alles um Mamas Trauer gedreht; Diamond war damals die Einzige gewesen, die versucht hatte, mich aufzufangen,als ich meine Schullaufbahn mit einem Haufen Fünfer und nicht der geringsten Zukunftsperspektive beendet hatte. »Tut mir leid. Ich bin müde. Du hast ja recht: Ich werde über deine Idee mit dem Kostümschneidern nachdenken. Ich glaube, ich pack das nicht, mein Examen zu wiederholen.«
    »Gut. Du hast echt so viel Potenzial; ich will doch nur, dass du erst mal eine Richtung für dich findest.« Diamond lächelte mich auf ihre besondere Weise an. Sie hatte eine unglaubliche Begabung dafür, gebeutelten Seelen Trost zu spenden, und jetzt, da ich mit ihren besänftigenden Kräften in Berührung gekommen war, fühlte ich mich gleich viel besser. Ihre Fähigkeit war sehr gefragt in der Gemeinschaft der Savants und sie wurde oft gebeten, zwischen zerstrittenen Lagern zu
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