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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Autoren: Jennifer Worth
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Geschichten von Taxifahrern oder Busschaffnern, die Babys sicher zur Welt bringen, davon nie die Rede ist. Im Notfall kann jeder Busfahrer ein Baby entbinden, aber wer hätte auch nur die geringste Ahnung, wie man die dritte Phase bestreitet? Ich stelle mir vor, dass besonders ahnungslose Leute an der Nabelschnur zögen, in dem Glauben, das helfe, die Plazenta herauszubekommen, aber das kann geradezu fatal enden.
    Muriel gurrt und küsst ihr Baby, während ihre Mutter aufräumt. Das Feuer knistert. Ich sitze still da, warte und denke nach.
    Warum gelten Hebammen nicht als Heldinnen der Gesellschaft, so wie es sein sollte? Warum genießen sie kein besonderes Ansehen? Sie sollten von allen himmelhoch bejubelt werden. Doch das werden sie nicht. Die Verantwortung, die sie tragen, ist kaum zu überschätzen. Ihr Können und ihr Wissen sind ohne Vergleich und doch scheint es völlig selbstverständlich, dass es sie gibt, und sie werden meist bald wieder vergessen.
    In den 1950er-Jahren wurden alle Medizinstudenten von Hebammen ausgebildet. Natürlich gab es Vorlesungen von Geburtsmedizinern, aber ohne klinische Praxis sind Vorlesungen bedeutungslos. Also bekamen Medizinstudenten in allen Lehrkrankenhäusern eine Ausbildungshebamme zur Seite, die sie mit in ihren Bezirk nahm, wo sie die praktischen Kenntnisse der Geburtshilfe erlernten. Sämtliche Allgemeinmediziner wurden von einer Hebamme ausgebildet. Aber von diesen Tatsachen war offenbar kaum etwas bekannt.
    Der Fundus wird fest und hebt sich ein wenig im Bauch, als sich eine Wehe der Muskeln bemächtigt. Das war es vielleicht schon, denke ich. Aber nein. Es fühlt sich nicht richtig an. Noch zu weich nach der Wehe.
    Weiter warten.
    Ich mache mir klar, welche unglaublichen Fortschritte die Geburtshilfe in diesem Jahrhundert gemacht hat, und denke an den Kampf, den engagierte Frauen geführt haben, um eine ordentliche Ausbildung zu bekommen und um andere ausbilden zu können. Ein anerkanntes Ausbildungsverfahren gibt es erst seit weniger als fünfzig Jahren. Meine Mutter und alle ihre Geschwister wurden von Frauen ohne Ausbildung zur Welt gebracht, die man »goodwife« oder »handywoman« nannte. Kein Arzt war dabei, so hieß es.
    Wieder kommt eine Wehe. Der Fundus hebt sich unter meiner Hand und bleibt fest. Gleichzeitig bewegt sich die Klemme an der Nabelschnur ein wenig. Ich überprüfe sie. Ja, nun lässt sich die Nabelschnur etwa zehn bis fünfzehn Zentimeter weiter herausziehen. Die Plazenta hat sich gelöst.
    Ich bitte Muriel, das Baby ihrer Mutter zu geben. Sie weiß, was ich nun tun werde. Ich massiere den Fundus, bis er fest, rund und beweglich ist. Dann fasse ich ihn fest mit der Hand und drücke nach unten und hinten, in Richtung des Beckens. Als ich drücke, wird die Plazenta durch die Scheide sichtbar, und ich hebe sie mit der anderen Hand heraus. Die Eihäute rutschen heraus, gefolgt von einem Schwall frischen Bluts vermischt mit ein wenig geronnenem Blut.
    Ich fühle mich vor Erleichterung ganz schwach. Es ist geschafft. Ich stelle die Nierenschale auf den Nachttisch – den Inhalt werde ich später untersuchen –, setze mich zu Muriel und massiere ihr weitere zehn Minuten lang den Fundus, damit er fest und rund bleibt, wodurch noch vorhandene Blutgerinnsel abgehen können.
    Einige Jahre später ging man dazu über, der Mutter nach der Geburt routinemäßig Oxytocinpräparate zu verabreichen, die eine sofortige, heftige Uteruskontraktion hervorrufen, sodass die Plazenta innerhalb von drei bis fünf Minuten nach der Geburt des Babys ausgestoßen wird. Die medizinische Wissenschaft macht weiter Fortschritte! In den 1950er-Jahren hatten wir keine derartigen Hilfsmittel bei der Entbindung.
    Nun bleibt nur noch, aufzuräumen. Während Mrs Hawkin ihre Tochter wäscht und ihr beim Umziehen hilft, untersuche ich die Plazenta. Sie scheint vollständig und die Eihäute sind intakt. Dann untersuche ich das Baby. Es wirkt gesund und normal gebaut. Ich bade den kleinen Jungen, ziehe ihn an – die Kleider sind so sehr zu groß, dass es grotesk komisch wirkt – und betrachte Muriel in ihrer großen Freude und ihrer völlig entspannten Haltung. Sie sieht müde aus, denke ich, aber sie zeigt keinerlei Anzeichen von Stress oder Anspannung. So etwas sieht man nie! Es muss in Frauen eine eingebaute Funktion geben, die sie alles vergessen lässt; irgendein chemischer Stoff oder ein Hormon, das sofort nach der Entbindung auf den Teil des Gehirns einwirkt, der für
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