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Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End

Titel: Call the Midwife - Ruf des Lebens: Eine wahre Geschichte aus dem Londoner East End
Autoren: Jennifer Worth
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Erinnerungen zuständig ist, sodass es die eben erlittenen Qualen völlig vergisst. Wenn das nicht so wäre, bekäme keine Frau jemals ein zweites Baby.
    Als alles blitzsauber ist, wird dem stolzen Vater der Zutritt gestattet. Heutzutage sind die meisten Väter während der gesamten Zeit bei ihren Frauen und wohnen der Entbindung bei. Doch das ist eine recht junge Modeerscheinung. Soweit ich weiß, gibt es dafür in der gesamten Geschichte kein Vorbild. Zumindest in den Fünfzigerjahren wäre jeder beim bloßen Gedanken daran zutiefst schockiert gewesen. Entbindungen galten als Frauensache. Selbst die Anwesenheit eines Arztes (bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein reiner Männerberuf) war ausgeschlossen, erst seit Geburtshilfe als medizinische Wissenschaft anerkannt ist, sind Männer bei Geburten anwesend.
    Jim ist ein kleiner Mann, wahrscheinlich keine dreißig, aber er wirkt eher wie vierzig. Er schiebt sich ins Zimmer und schaut verlegen und verwirrt drein. Wahrscheinlich macht ihn meine Anwesenheit sprachlos, aber ich bezweifle, dass er die englische Sprache je besonders gut beherrscht hat. Er murmelt: »Alles in Ordnung, Mädel?«, und gibt Muriel ein Küsschen auf die Wange. Neben seiner stämmigen Frau, die gut und gerne 30 Kilo mehr wiegt als er, wirkt er noch zierlicher. Ihre gut durchblutete, rosige, frisch gewaschene Haut lässt ihn noch grauer, angespannter und ausgetrockneter erscheinen. Das sind die Auswirkungen von harten Sechzig-Stunden-Wochen in den Docks, denke ich im Stillen.
    Dann schaut er sich das Baby an und murmelt etwas vor sich hin – offenbar denkt er scharf darüber nach, welche Worte jetzt angemessen wären –, dann räuspert er sich und sagt: »Gott, er is schon echt in Ordnung.« Und dann geht er wieder.
    Ich bedauere sehr, dass ich keine Gelegenheit hatte, die Männer des East Ends näher kennenzulernen. Aber das ist letztlich unmöglich. Ich gehöre zu der Welt der Frauen, ich bin Teil des Tabuthemas Geburt. Die Männer verhalten sich uns Hebammen gegenüber höflich und respektvoll, doch Vertrautheit oder gar Freundschaft ist völlig undenkbar. Es gibt eine vollständige Trennung zwischen dem, was als Männerarbeit, und dem, was als Frauenarbeit gilt. Ähnlich wie Jane Austen also, in deren gesamtem Werk nirgends eine Unterhaltung zwischen zwei Männern vorkommt, weil sie als Frau nicht wissen konnte, wie Männer untereinander sprachen, vermag auch ich nur wenig mehr als meine oberflächlichen Beobachtungen über die Männer von Poplar festhalten.
    Nun kann ich mich bald aufmachen. Es war ein langer Tag und eine lange Nacht, doch ein tief greifendes Gefühl der Erfüllung und Befriedigung macht meine Schritte und mein Herz leicht. Muriel und ihr Baby sind beide eingeschlafen, als ich mich aus dem Zimmer schleiche. Die netten Menschen im Erdgeschoss bieten mir wieder Tee an, doch ich lehne ihn erneut höflich ab und sage, dass im Nonnatus House mein Frühstück auf mich wartet. Ich lege ihnen noch ans Herz, uns anzurufen, sollte es Grund zur Sorge geben, doch ich sage ihnen auch, dass ich etwa um die Mittagszeit wieder hereinschauen werde und dann noch einmal am Abend.
    Als ich das Haus betrat, regnete es und es war dunkel. Fiebrige Aufregung und Vorfreude lagen in der Luft, die Unruhe einer Frau kurz vor der Geburt, kurz bevor sie neues Leben zur Welt bringen wird. Nun verlasse ich ein Haus, in dem alle ruhig schlafen, mit einer neuen Seele in ihrer Mitte, und ich trete hinaus ins helle Licht der Morgensonne.
    Ich bin auf meinem Rad durch dunkle, verlassene Straßen und stille Docks gefahren, vorbei an verschlossenen Toren und leeren Häfen. Nun radele ich durch den hellen frühen Morgen, die Sonne geht gerade über dem Fluss auf, die Tore stehen offen oder öffnen sich gerade, Männer strömen durch die Straßen, rufen sich etwas zu, das Geräusch von Motoren setzt ein, Kräne beginnen sich zu drehen, Lastwagen biegen ab, durch die riesigen Tore, und man hört die Geräusche eines Schiffs, das sich auf dem Wasser bewegt. Eine Werft ist kein sonderlich schillernder Ort, aber auf eine junge Frau mit vierundzwanzig Stunden Arbeit in den Knochen bei nur drei Stunden Schlaf und still jubelnd angesichts der geglückten Geburt eines gesunden Babys wirkt er berauschend. Ich bin noch nicht einmal müde. Die Drehbrücke ist nun geöffnet, das bedeutet, dass die Straße gesperrt ist. Ein riesiges Hochseeschiff gleitet langsam und majestätisch durchs Wasser, zwischen seinem Bug oder
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