Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Calibans Krieg

Calibans Krieg

Titel: Calibans Krieg
Autoren: James S. A. Corey
Vom Netzwerk:
lang waren und an Radspeichen erinnerten, flammten weiß auf und verschwanden wieder. Die Venuswolken gerieten in Wallung, weil sie von unten aufgewühlt wurden. Prax dachte auf einmal an ein großes Aquarium, auf dessen Oberfläche Wellen entstanden, wenn etwas tiefer ein Fisch vorbeizog. Etwas Riesiges, das glühte, stieg durch die Wolkendecke empor. Leuchtende Stränge, zwischen denen Blitze zuckten, spannten sich auf und verschränkten sich wieder wie die Arme eines Tintenfischs, blieben jedoch stets mit dem starren zentralen Gebilde verbunden. Sobald es die dichten Wolken der Venus hinter sich gelassen hatte, entfernte es sich von der Sonne und näherte sich zugleich dem Beobachtungsschiff, raste aber an ihm vorbei. Die übrigen Einheiten wurden verstreut und weggeschleudert. Eine lange Fahne der mitgerissenen Venusatmosphäre zog vor der Sonne vorbei und glühte wie Schneeflocken und Eiskristalle. Prax versuchte, die Ausmaße einzuschätzen. Das Ding war so groß wie die Ceres-Station. So groß wie Ganymed. Noch größer. Es faltete die Arme oder Tentakel zusammen und beschleunigte ohne erkennbare Rückstoßwolke. Es schwamm durch die Leere. Sein Herz raste, sein Körper war starr wie Stein.
    Mei tatschte ihm mit der flachen Hand auf die Wange und deutete auf den Bildschirm.
    »Was ist das?«, fragte sie.

EPILOG Holden
    Holden startete die Wiedergabe noch einmal. Der Wandbildschirm in der Messe der Rosinante war zu klein, um die hochauflösenden Aufnahmen, die auf der Celestine entstanden waren, in allen Einzelheiten darzustellen. Holden konnte nicht anders, er musste sie sich immer wieder ansehen, ganz egal, in welchem Raum er sich befand. Vor ihm auf dem Tisch kühlte eine vergessene Tasse Kaffee neben dem unberührten Sandwich ab.
    Auf der Venus blitzten komplizierte Lichtmuster. Die schwere Wolkendecke wirbelte, als sei ein planetenweiter Sturm ausgebrochen. Dann stieg das Objekt von der Oberfläche empor und zog einen langen Schweif der Venusatmosphäre hinter sich her.
    »Komm ins Bett.« Naomi beugte sich auf ihrem Stuhl vor und nahm seine Hand. »Du musst doch mal schlafen.«
    »Es ist so gewaltig. Und wie es die Schiffe vertrieben hat. Mühelos wie ein Wal, der durch einen Sardinenschwarm schwimmt.«
    »Kannst du etwas daran ändern?«
    »Das ist das Ende, Naomi«, sagte Holden. Er riss sich von dem Bildschirm los und sah sie an. »Was ist, wenn damit alles zu Ende geht? Das ist kein außerirdisches Virus mehr. Dieses Ding ist das, was das Pro tomolekül eigentlich bauen wollte. Dieses Ding sollte das entstehende Leben auf der Erde erobern. Es kann sein, was immer es sein will.«
    »Kannst du etwas daran ändern?«, wiederholte sie. Ihre Worte klangen grob, aber die Stimme war freundlich, und sie drückte liebevoll seine Hand.
    Holden konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm und startete das Video noch einmal. Ein Dutzend Schiffe fegten von der Venus davon, als hätte sie ein starker Wind erfasst, der sie wie Laub vor sich hertrieb. Die höchsten Schichten der Atmosphäre brodelten und wallten.
    »Na gut.« Naomi stand auf. »Ich gehe ins Bett. Weck mich nicht, wenn du kommst. Ich bin müde.«
    Holden nickte, ohne den Blick vom Videofeed zu wenden. Das riesige Objekt faltete sich zusammen, bis es einem stromlinienförmigen Pfeil glich oder einem feuchten Tuch, das jemand in der Mitte mit zwei Fingern angehoben hatte, und flog davon. Irgendwie wirkte die Venus, die es zurückließ, kleiner als vorher. Als hätte jemand dem Planeten etwas Wichtiges gestohlen, um dieses außerirdische Artefakt zu bauen.
    Da war es nun also. Nach all den Kämpfen, nachdem dank seiner bloßen Gegenwart die menschliche Zivilisation ins Chaos gestürzt war, hatte das Protomolekül die Aufgabe abgeschlossen, zu der es vor Millionen Jahren angetreten war. Würde die Menschheit dies überleben? Würde das Protomolekül sie überhaupt bemerken, da das gewaltige Werk vollendet war?
    Es war nicht die Vorstellung, dass etwas zu Ende ging, die Holden solche Angst machte. Es war die Aussicht, dass nun etwas begann, das völlig außerhalb der menschlichen Erfahrung lag. Was jetzt als Nächstes geschah, konnte niemand auch nur ahnen.
    Er hatte eine Heidenangst.
    Hinter ihm räusperte sich jemand.
    Widerstrebend riss sich Holden vom Bildschirm los. Der Mann stand neben dem Kühlschrank, als hätte er mit knittrigem grauem Anzug und verbeultem schweinsledernem Hut schon immer dort gestanden. Von seiner Wange flog ein hellblaues
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher