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Cäsar läßt grüssen

Cäsar läßt grüssen

Titel: Cäsar läßt grüssen
Autoren: Joachim Fernau
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ungeheure Ablösung an Porsenna zahlte, daß es vollständig verarmte.
    So einfach war der Plan gewesen. Und so heruntergekommen waren also schon die Etrusker.
    Was Rom sich erkaufte, war die Befreiung von der Fremdherrschaft. Die Beseitigung der Monarchie war nur ein Abfallprodukt, das erst nachträglich zur Hauptsache wurde; so, wie man etwa Pechblende kauft und Uran mitbekommt. Ein edles Metall; aber es ist gefährlich. Es ist gewebezerstörend. Und es zerfällt in Halbwertzeiten!

IM ZWEITEN KAPITEL

hat man Gelegenheit, den gesunden Menschenverstand und bekannten Friedenswillen zu bewundern, der beim Mann aus dem Volke sofort durchbricht, wenn man ihn nur läßt: Die Römer stürzten sich auf das zerbröckelnde etruskische Reich und rissen sich ein paar schöne Städtchen heraus. Leider hatte die gleiche Idee noch ein anderer, ein ganz gemeiner Mensch, der nicht einmal vor Rom haltmachte.

    Die Geschichte der römischen Republik beginnt. Sie beginnt zunächst ganz ereignislos. Es hegte damals auch niemand die utopische Vorstellung, man würde nun schwungvoll in die Weltgeschichte einsteigen. Womit denn? Daß die Uhr tickte und der Wecker schon eingestellt war, wissen immer erst die Nachfahren. In den Fällen, wo es schon die Zeitgenossen zu wissen glauben, ist es mit Sicherheit ein frommer Irrtum.
    Rom war arm.
    Aber Rom war gesund.
    Gesund — nun ja, das sagt man so. Bedeutet es wirklich etwas?
    Es bedeutet das Fundament für ein Volk und steht über allem Politischen, aber ich bin im Zweifel, ob man es Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts noch klarmachen kann. Es sind einfache Dinge, so einfache, daß schon die Etrusker darüber gelächelt hätten. Die Römer hatten mit dreißig Jahren sicher noch alle Zähne. Drei Tage Hunger ertrugen sie spielend. Sie konnten in einer Minute einschlafen, notfalls stehend. Sie brauchten nicht eine halbe Stunde auf dem Abort zu hocken. Sie steckten sich die Pfauenfedern an den Hut, statt in den Hals. Sie liebten ohne Schwierigkeiten und Nachhilfen. Ihre Augen waren in Ordnung. Brot roch ihrer Nase schöner als Rosenwasser. Sie hatten Schwielen an den Händen, was besser ist als Schwielen am Gesäß.
    Der einfache Mann in Rom wird die Überlegenheit seines Drei-Minuten-Sitzes über die halbstündige Frequentierung eines etruskischen Wasserklosetts nicht eingesehen haben. Es ist für den von Natur aus begehrlichen Menschen ja auch hart, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß jeder Fortschritt verweichlicht und daß die Natur alles Verweichlichte früher oder später vernichtet.
    Während in Hellas die Stadtstaaten einheitlich gewachsen waren, hatte Rom genug verführerische Vorbilder weit fortgeschrittener Kulturen um sich herum. Daß es dennoch viel länger gesund blieb als Athen oder Korinth, lag an zwei Dingen: an der Verarmung und an seiner »virtus«.
    Die berühmte Virtus! Das Wort, in das nachträglich so viel hineingeheimnist worden ist! Die Schulübersetzung lautet »Tugend«. Tugend ist ein typischer Gummibegriff der Penne, feminin, blutleer, ärgerlich. Man sprach auch von »Stolz«, nicht schlecht, aber ein Begriff, in dem viel Negatives steckt. Man sprach von »Mannhaftigkeit«; ein schreckliches Wortgebilde, es klingt nach Belobigung durch Vorgesetzte. Man sprach von »Heldentum«; das ist ganz bestimmt falsch, Heldentum war eine Folge der Virtus. Man sprach von »Unanfechtbarkeit«; die Römer waren Menschen, also anfechtbar. Dennoch steckt etwas Richtiges darin.
    Aber das Wort ist gar nicht so geheimnisvoll. Es läßt sich aus der römischen Geschichte eliminieren, wie es sich aus der englischen eliminieren ließe, und zwar aus der Zivilgeschichte viel besser als aus der heroischen. Es umfaßt zweierlei: die Selbstdisziplin und die ständige Identifizierung mit dem Staat. In zwei monologische Sätze übersetzt: »Ich möchte mich ungern vor mir selbst schämen« und »Wer, wenn nicht ich, ist Rom«.

    *

    Die Wurzeln der römischen virtus reichen in jene ersten Jahre der Republik zurück.
    Aber virtus bedeutet noch nicht das Paradies oder die wunschlose Windstille.
    Die Patrizier Roms hatten es jetzt schwerer mit der Masse der Bevölkerung als die Könige vorher, um so schwerer, als sie selbst nicht im Geruch der Selbstlosigkeit und des Darüberstehens waren, wie es ein König eben ist, auch wenn es nicht zutrifft. Ein Tarquinius Superbus machte keine Kettenläden auf, spekulierte nicht in Bauland und verlieh keine Gelder zu zwanzig Prozent. Aber viele
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