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Cäsar Birotteau (German Edition)

Cäsar Birotteau (German Edition)

Titel: Cäsar Birotteau (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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geheimnisvolle Privileg starker schöpferischer Naturen, vergessen wie die Natur vergißt, die ihre Vergangenheit nicht kennt und sich unermüdlich nur immer wieder verjüngt. Die schwachen Menschen, zu denen Birotteau gehörte, führen eine schmerzensreiche Existenz. Sie haben nicht die Kraft, aus Erlebnissen nichts als Erfahrung zu ziehen. Indem sie in das überstandene Leid immer von neuem zurücksinken, erschweren und verzehren sie sich.
    Die beiden Paare wandelten den Weg hin, der nach dem Walde von Aulnay führt, nach einem der reizendsten Hügel in der Umgegend von Paris, von dem aus man einen Blick in das Wolfstal hat. Das schöne Wetter, die Anmut der Landschaft, das Frühlingsgrün und die köstlichen Erinnerungen an vergangenes Glück verscheuchten Cäsars Trübsinn. Er drückte seine Frau an sich. Seine Augen belebten sich freudig.
    »Mein armer Cäsar!« rief Konstanze aus. »Endlich bist du wieder der alte! Ich denke, wir dürfen uns hin und wieder eine kleine Erholung wohl gönnen!«
    »Darf ich es aber ?« fragte er. »Ach, Konstanze, ich besitze nichts mehr als deine Liebe! Ich habe alles verloren, sogar mein Selbstvertrauen! Ich habe keine Kraft mehr. Ich wünsche mir nichts, als noch so lange zu leben, um frei von irdischen Verbindlichkeiten sterben zu können! Aber dich, meine liebe Frau und kluge Beraterin, dich, die du alles klar voraussahst, dich trifft kein Vorwurf, du darfst fröhlich sein! Ich allein von uns dreien bin der Schuldige! Vor anderthalb Jahren, auf jenem Unglücksfest, da warst du, Konstanze, du, die einzige Frau, die ich je geliebt, vielleicht noch schöner denn, heute vor zwanzig Jahren als junges Mädchen! In den anderthalb Jahren seitdem habe ich diese Schönheit vernichtet, die mein Stolz, mein berechtigter Stolz war! Aber ich liebe dich mehr denn je, da ich weiß, was ich an dir habe! Ach, Liebste, ich möchte lieber, du machtest mir Vorwürfe, als daß du meinen Schmerz verherrlichst!«
    Der Ton seiner Worte ging Konstante durch das Herz.
    »Ich hätte nicht geglaubt«, sagte sie, »daß die Liebe einer Frau zu ihrem Mann nach zwanzigjähriger Ehe noch wachsen könnte!«
    Das Geständnis ließ Cäsar einen Augenblick all sein Leid vergessen. Sein Herz hatte nur Raum für dieses Glück. Freudig fand er den Baum wieder, der zufällig noch stand. Das Ehepaar setzte sich unter ihn und sah Anselm und Cäsarine nach, die weiter dahinschritten.
    »Fräulein Cäsarine«, sagte Anselm zu dem jungen Mädchen, »halten Sie mich nicht für so gemein und habgierig, daß ich aus dem Erwerb des Anteiles Ihres Vaters am Kephalol Nutzen zöge! Ich betrachte seinen Anteil mit Freuden nach wie vor als sein rechtmäßiges Eigentum. Wir dürfen erst am Tage der Rehabilitation Ihres Vaters einander ganz angehören! Mit all der Kraft, die mir meine Liebe verleiht, bemühe ich mich, das Erscheinen dieses Tages zu beschleunigen!«
    Der Bräutigam hatte sich gehütet, seiner Schwiegermutter dieses Geheimnis anzuvertrauen. Ein Liebender hat immer den Drang, seiner Geliebten großherzig zu erscheinen.
    »Ist der erhoffte Tag noch fern?«
    »Er ist nahe!«
    Anselm sagte das derartig zuversichtlich, daß Cäsarine ihm bei aller Züchtigkeit am liebsten um den Hals gefallen wäre. Als sie sich inniger an ihn schmiegte, nahm er sie beim Kopf und küßte sie in respektvoller Verliebtheit.
    Als der ganze Kreis wieder vereint war, kam es Birotteau, der sonst kein besonders scharfer Beobachter war, vor, als hafte dem Benehmen des Ehepaars Ragon etwas Geheimnisvolles an.
    Während des Nachtisches erschien der Notar von Sceaux. Pillerault bat ihn, Platz zu nehmen, und sah zu Birotteau hin. Von neuem stiegen gewisse Ahnungen in Cäsar auf, ohne daß sie feste Gestalt annahmen.
    »Mein lieber Neffe«, begann Pillerault, »seit vierzehn Monaten verwalte ich die Ersparnisse von dir, deiner Frau und deiner Tochter und habe sie auf fünfzehntausend Francs gebracht. Aus der Konkursmasse sind mir dreißigtausend Francs zugefallen. Mithin können wir nunmehr fünfundvierzigtausend an deine Gläubiger zahlen. Ragons Dividende hat ebenfalls dreißigtausend betragen. Der Herr Notar von hier überreicht dir die Quittung über die nunmehr vollständige Bezahlung deiner Schuld samt Zinsen an deine Freunde. Der Rest liegt beim Notar Crottat. Davon sollen Lourdois, Frau Madou und die Handwerker bezahlt werden, kurz, deine dringlichsten Gläubiger. Die andern kommen nächstes Jahr dran. Mit Zeit und Geduld läßt sich alles
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