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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata
Autoren: Eugen Ruge
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Barcelona, der Stadtkern durch ein einstmaliges Flussbett geprägt); an die gewaltige, auf einem Hügel gelegene Festungsanlage; an die Mittagshitze in den Gassen, die, je weiter man bergauf ging, desto enger und verfallener wurden – bis die Stadt, auf der Rückseite des Berges, in regelrechte Ruinen überging.
    Ich erinnere mich, wie ich am Nachmittag auf einer schattigen Parkbank saß und mit meinem Opinelmesser eine Honigmelone zerteilte. Ich erinnere mich, dass auf der Bank mir schräg gegenüber ein Penner Platz nahm, der aussah wie Tarzan: ein barfüßiger, in Felle gekleideter Mensch mit verfilztem Lockenhaupt und von der Sonne so schwarz gebrannt, dass das Augenweiß koboldhaft in seinem Gesicht aufblitzte, wie bei den Kohleleuten, die es früher, in meiner Kindheit, noch gegeben hatte. Auch er begann mit einem großen Messer irgendetwas zu zerschneiden, ich scheute mich, hinzusehen; aber als ich ein paar Augenblicke ratlos mit vom Saft der Honigmelone klebenden Händen dasaß, begegnete mir sein Koboldblick und lenkte, begleitet von einer winzigen Kopfbewegung, meine Aufmerksamkeit auf einen kleinen, nur wenige Schritte entfernten Trinkwasserbrunnen.
    Ich hatte mir vorgenommen, die Nacht am Strand vor Almería zu verbringen, um zu testen, ob der bevorstehende Sommer auch ohne feste Unterkunft zu überstehen war, aber der Verdacht, dass der Tarzan-Penner mich – lag es an meinem zerknautschten Hut, an meiner Isomatte, oder sagte ihm sein Obdachlosen-Instinkt, wie es um mich stand? – bereits für seinesgleichen hielt, ließ mich zögern. Ich nahm zwei Hotels in Augenschein, von denen eines, ein ehemals pompöses, einer längst vergangenen Epoche angehörendes Haus mit dunklen Marmorfußböden, sogar einigermaßen preiswert war. Dennoch konnte ich mich beim Anblick des Eisenbetts in dem viel zu großen Zimmer nicht entschließen, meine schwindenden Barreserven dafür einzusetzen.
    Halb als Kompensation für diesen Verzicht, halb aus Verzweiflung leistete ich mir – nach drei Monaten Fisch – gegrillte Lammkoteletts in einem schönen Straßenrestaurant am oberen Ende einer palmengesäumten Allee. Ich erinnere mich, dass ich mit Mühe einen Platz bekam, alle Stühle waren besetzt. Es schien die Zeit zu sein, in der die Spanier ihr Nachtmahl einnahmen. Aber so wie die spanischen Besucher in Cabo de Gata nach dem Essen wie auf Verabredung beinahe gleichzeitig aufstanden und auf die Promenade hinausgingen, so standen sie auch hier nach dem Essen geschlossen auf und verschwanden – wohin? –, und ich fand mich, als meine Koteletts endlich serviert waren, im Schein der Straßenlaternen als einziger Gast wieder.
    Ich erinnere mich an die Feierabendstimmung im Hintergrund, an das Gelächter der Kellner, an die leise Musik (Elvis Presley) und daran, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine junge zigeunerhafte Frau in dünner, fast durchsichtiger Kleidung aus einem Hauseingang zu mir herüberstarrte wie ein hungriger Hund, der auf die Knochen meiner Lammkoteletts aus war. Plötzlich – fressend, mit fettigen Fingern – kam ich mir reich vor, genauer gesagt: Ich glaubte zu wissen, wie es war, reich zu sein, oder noch genauer: Ich glaubte für Augenblicke, die niedrigste, die gemeinste Genugtuung der Reichen nachempfinden zu können, darüber nämlich, dass andere nicht reich sind, darüber, dass es Arme gibt, deren Existenz einem den eigenen Reichtum überhaupt erst bewusst macht, und obwohl ich mir schlecht vorkam wegen der bloßen Befähigung zu einer solchen Empfindung, fiel mich erneut die Versuchung an, mein knappes Geld für eine Nacht in jenem pompösen alten Hotel auszugeben – zuzüglich der Summe, die nötig gewesen wäre, um meine noch undeutlichen Phantasien zu verwirklichen, die irgendwie mit dem Eisenbett, den dunklen Marmorfußböden und den Knochen, die ich gerade abnagte, verbunden waren.
    So ging ich zum Strand und suchte mir einen Schlafplatz zwischen zwei Ruderbooten.

6
    Den Weg zurück nach Cabo de Gata ging ich zu Fuß, vielleicht fünfundzwanzig (oder waren es – ich könnte googeln – dreißig?) Kilometer, immer am Ufer des Meeres entlang. Eine Busfahrkarte wäre nicht teuer gewesen, die Ersparnis war gering, aber auch das wollte ich mir beweisen: dass mich im Ernstfall meine Füße trugen. Und sie trugen mich, auch wenn ich sagen muss, dass der Weg mir lang vorkam.
    In der Nacht hatte ich schlecht geschlafen, es waren erstaunlich viele Leute am Strand gewesen, plappernd
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