Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata
Autoren: Eugen Ruge
Vom Netzwerk:
einem Schüsselchen herum und wischte – ein Akt der Vergeblichkeit – die sperrmüllartigen Gartenmöbel ab, die ich damals, in den Jahren des Wandels, für eine Übergangslösung hielt, die sich inzwischen aber als eine Art Prenzlauer-Berg-Stil entpuppt haben. Ich habe vergessen, was ich auswählte (irgendein italienisches oder spanisches oder biologisches Frühstück), aber ich erinnere mich daran, dass die Kellnerin, die vermutlich BWL oder Politikwissenschaften studierte, mich siezte, und obwohl ich es sonst immer ein bisschen aufdringlich finde, wenn ich in Cafés wie dem Café Kohle geduzt werde, empfand ich das Sie der Kellnerin an diesem Morgen als kränkend.
    An das Frühstück selbst habe ich keine Erinnerung, allenfalls an die Salatreste, die ich davon übrig ließ, oder an die Krümel auf der Tischplatte, und an diese erinnere ich mich auch nur, weil sich alsbald die Sperlinge daran zu schaffen machten. Ich weiß noch, dass ich eine Weile reglos am Tisch saß und die Sperlinge beobachtete. Sie näherten sich vorsichtig und zugleich hastig, rutschten mit ihren Krallenfüßchen auf der Tischplatte herum wie ungeübte Schlittschuhläufer, und ich weiß noch, dass ich den Gedanken bemerkenswert fand, dass diese Tiere, die sich ja im Übrigen hervorragend an das Stadtleben angepasst hatten, es vermutlich nie, auch nach Tausenden von Jahren nicht, lernen würden, sich, ohne auszugleiten, auf einer glatten Tischplatte zu bewegen. Es lag, dachte ich, einfach außerhalb der ihnen eingeschriebenen Möglichkeiten, aber bevor ich weiterdenken konnte, kam die Kellnerin, räumte, die Sperlinge aufscheuchend, den Tisch ab und fragte mich, ob ich noch einen Wunsch hätte.
    Obwohl meine finanzielle Lage damals so prekär war, dass ich buchstäblich bei jeder Tasse Kaffee überlegte, ob ich sie mir leisten solle, oder vielleicht gerade deswegen, nämlich weil ich vor dieser so offensichtlich desinteressierten BWL-Kellnerin nicht als Versager und Habenichts dastehen wollte, bestellte ich einen weiteren Latte macchiato , und während ich auf diesen Latte macchiato wartete, passierte etwas, das mir bis heute in fast jeder Einzelheit erinnerlich ist.
    Vor dem Café, das ehemals eine Kohlenhandlung gewesen war (kein Volkseigener Betrieb, wie die ahnungslosen Neubewohner des Prenzlauer Bergs unterstellten), hielt ein schwarzer BMW, aus dem drei Personen stiegen, drei Männer. Sie waren jung, jedenfalls jünger als ich. Zwei von ihnen trugen kurzärmlige T-Shirts und Jeans, der dritte war etwas älter als die beiden anderen, sah verlebter aus und überhaupt so, wie ich mir einen Zuhälter vorstellte. Er trug einen dunklen Anzug und ein geblümtes Hemd, dessen Kragen über das Revers fiel; im krausen Haarschopf steckte eine (vermutlich teure) Sonnenbrille, die ihre endgültige Bestimmung dort gefunden zu haben schien; an den Füßen trug er zierliche, zu ernsthafter Fortbewegung kaum geeignete Schuhe, eine Art Mokassins (falls das Wort noch im Umlauf ist), auf deren Spann jeweils zwei kleine, zu einer Scheinschleife gebundene Lederbändchen saßen, deren Enden wiederum in je eine winzige Troddel ausliefen.
    Als Sitzgelegenheiten im «Vorgarten» des Cafés, der aus einem vorschriftswidrig genutzten Teil des breiten Berliner Gehwegs bestand, dienten unter anderem alte, längs der Hauswand aufgebockte Gerüstbohlen, die zwar vermutlich mehrere hundert Male von einer Kellnerin abgewischt worden, aber dennoch von eingefressenen Kalk- und Zementspuren übersät waren. Der Anzugträger setzte sich, ohne zu zögern, darauf und begann sofort laut und bayrisch (oder war es österreichisch?) über Computerdinge zu reden. Genauer gesagt, redete er über den Verkauf von Computerdingen, über Marktanteile und Expansion ; Worte wie Absatz , Vertrieb , Prozent , Gewinnspanne und das mir damals unbekannte (und auch heute nur halbwegs verständliche) Wort Franchising drangen an mein Ohr und in mein Ohr ein. Die beiden anderen, eher normal Gekleideten saßen dem Redner zugewandt auf Plastikstühlen, leicht vornübergebeugt, nickten, warfen hin und wieder einen zustimmenden Kommentar ein oder lachten, während der Redner, den Rücken an die Hauswand gelehnt, die Beine übereinandergeschlagen, auf der Gerüstbohle saß und den Blick wie ein Eroberer, der das zu Erobernde taxiert, über die weit einsehbare Kopenhagener Straße, über die grauen Fassaden, die Fenster, die Reihen geparkter Autos schweifen ließ, und während der ganzen Zeit , so sagt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher