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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata
Autoren: Eugen Ruge
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sage ich, war die große Löwin. Du bist die kleine Löwin. Das ist das Erste, was ich zu ihr sage.
    Ich erinnere mich, wie sie das Zimmer auszuforschen beginnt: vorsichtig, geräuschlos. Wie sie geduckt umhergeht, unter die Betten schaut, unter den Schrank.
    Ich erinnere mich, wie sie – kurz das Ziel fixierend, die Hinterpfoten zurechtruckelnd – auf den Sims des hoch gelegenen, kleinen Badezimmerfensters springt, das auf den inneren Hof hinausgeht: Ja, ich wusste, dass Katzen springen können. Aber welche Eleganz …
    Dass sie auf dem gegenüberliegenden Bett herumschnüffelt, ist mir unangenehm, immerhin ein halbwildes Tier, womöglich streunt sie nachts bei den Mülltonnen herum, vielleicht hat sie Flöhe … Ich ermahne sie halblaut. Sofort springt sie vom Bett. Sieht mich einen Augenblick an – und ist fort.
    Ich schwöre mir, sie nie wieder zu ermahnen. Sie nicht zu erziehen. Sie nicht zu dressieren. Sie so zu nehmen, wie sie ist. Falls sie wiederkommt.
    Und sie kommt wieder. Abends um acht Uhr hole ich sie am Briefkasten ab. Nicht früher! Zwar schaue ich auch tagsüber nach ihr, beiläufig, aber immer vergeblich: Wir sind am Abend verabredet. Und zwar am Briefkasten. Und das bleibt so, bis zum Schluss, bis zum bitteren Schluss.
    Ich erinnere mich, wie sie an meinen Beinen umherzustreifen beginnt, mit hochgerecktem Schwanz, flüchtig, ein bisschen unkonzentriert. Ich erinnere mich an das erste Streicheln, unbeholfen, wie erste Berührungen zu sein pflegen: Ich halte die Hand hin, und sie reibt den Kopf oder die Lefzen daran, streicht dann unter meiner Handfläche durch, bis zum hochaufgereckten Schwanz, der einen Widerstand bildet, den sie, so scheint es, überwunden wissen will … Und obwohl ich mir natürlich nicht ernstlich zu glauben gestatte, dass sie meine Mutter ist, kommt mir ein bisschen inzestuös vor, was wir da treiben.
    Und dann – ihr Schnurren! Jedes Kind weiß, dass eine Katze schnurrt. Sogar ich, der ich zuvor kaum Berührung mit Katzen hatte (mein Vater war gegen Tiere im Haus), wusste, dass eine Katze schnurrt. Aber ich dachte immer, das Schnurren käme irgendwie, ich weiß nicht, wie, aus dem Innern der Katze. In Wirklichkeit ist es mit dem Atem verbunden, sie schnurrt einatmend und ausatmend, und auch wenn der Ton im ersten Augenblick gleichmäßig erscheint (ja, man hat den Eindruck, die Katze bemühe sich um Gleichmaß), so gibt es, wenn man genau hinhört, einen Unterschied zwischen dem einatmenden und dem ausatmenden Schnurren, und man hört, wenn man hinhört, den Punkt, an dem die Katze sozusagen auf Umkehrschub schaltet.
    Was ich noch beobachte: dass sie die langen – wie heißen sie? – Tasthaare verstellen kann. Sie legt sie an, wenn sie mit den Lefzen an meiner Hand entlangstreift, und richtet sie wieder auf, wenn sie vorbei ist.
    Sie kann die Ohren bewegen. Sie horcht. Wenn sie unsicher ist, stellt sie die Ohren zur Seite.
    Ihre Augen sind grün – tatsächlich ist es exakt die Augenfarbe meiner Mutter: ein dunkles mineralisches Grün mit braunen Einsprengseln. Wenn die Pupillen sich zu senkrechten Schlitzen verengen, wirkt sie ein bisschen gefährlich, roboterhaft. Seltsamerweise können sie auch im entspanntesten Zustand schlitzförmig sein – dann blinzelt die Katze mir zu, wie um mich von ihrer Arglosigkeit zu überzeugen.
    Wie trinken Katzen? – Die Frage fällt mir irgendwann ein. Trinken muss sie ja wohl. Aber wie? Ich habe keine Ahnung. Ich schneide von einer Plastikflasche den Boden ab, fülle ihn mit Wasser, stelle ihn ihr hin. Und tatsächlich – sie trinkt! Sie trinkt (wie vermutlich alle Tiere), indem sie die Zunge ins Wasser taucht, sie schlabbert die Flüssigkeit in sich hinein, schnelle, rhythmische Bewegungen. Ich sitze auf dem Bettrand, lausche, zähle: immer vier Schläge. Manchmal kommt sie ein wenig aus dem Takt, dann sind es fünf.
    Irgendwann – nach drei, fünf oder sieben Tagen – mache ich vorsichtig die Tür zu. Sie akzeptiert es. Springt aufs gegenüberliegende Bett. Setzt sich, klappt ihre Vorderpfoten ein. Schnurrt. Bald sind die Kerzen heruntergebrannt. Nur noch Schnurren im Raum, warmes, glückseliges Schnurren.

4
    Sie verlässt mich jeden Morgen um sieben. Ich bleibe noch ein halbes Stündchen im Bett liegen. Dann gehe ich baden. Da um diese Zeit nie jemand auf der Promenade ist, habe ich mich irgendwann entschieden, die morgendliche Kaltdusche doch durch ein Bad im Meer zu ersetzen.
    Es folgt der übliche Gang zum Bäcker. Die
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