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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata
Autoren: Eugen Ruge
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ich, da es als Hauptgang jeden Tag Fisch gibt, ein einziges Mal vergeblich versucht habe, die am ersten Tag getroffene Entscheidung in Bezug auf das Getränk zu revidieren, bin ich insgeheim froh, dass die Dickärschige meinen Wunsch ignoriert oder vielleicht nur vergessen hat und mir nach wie vor jeden Tag eine Rotweinflasche auf den Tisch knallt – und ich hüte mich, sie zu erinnern.
    So trinke ich Rotwein zum Fisch. Ich klemme meine Serviette unter die Menage, damit der Wind sie nicht fortträgt. Beträufle den namenlosen Fisch, der mir täglich serviert wird, mit Zitrone. Und frage mich, ob es mir jemals wieder so gut gehen wird.
    Nachmittagsflaute. Ich überwinde sie durch Spaziergänge. Die Veränderungen, die das Meer am Strand von einem Tag auf den anderen erzeugt, sind gerade noch zu ertragen. Schützen muss ich mich vor zerstörerischen Gedanken, überhaupt vor Gedanken. Denn das habe ich längst begriffen: Der große Entwurf, die große Form, in der sich Vergangenheit und Gegenwart auf wundersame Weise verbinden, der Tonfall, in dem sich meine Geschichte von selbst erzählt, kann nicht erdacht werden, ist keine Verstandesleistung, keine Frage der Intelligenz, sondern – und das, denke ich, ist die wahre Botschaft der Katze – wird sich einstellen, sobald das absolute Gleichmaß erreicht ist. Sobald die Welt aufgehört hat, mich durch Wandel zu stören.
    Absingen der amerikanischen Nationalhymne. Muss heißen: Absummen.
    Billard um vier. Das Plock-Plock der aneinanderstoßenden Kugeln. Im Hintergrund die Musik, zu der die Außerirdischen im Fernseher tanzen.
    Zum Sonnenuntergang auf die Bank.
    Acht Uhr: Katzenzeit. Füttern und Streicheln.
    Und dann, vor dem Einschlafen, lese ich El País.
    Es ist noch immer dieselbe Ausgabe, vom 17. Februar, wenn ich nicht irre. Ich lese, bis mir die Augen zufallen. Bis die Katze sich auf meine Füße setzt. Und eines Abends, als das Licht aus ist, als die Katze schnurrt, als mein Kopf, als der Raum, als die Welt nur noch ein großes, schwarzes Schnurren ist, habe ich das Gefühl, dass die Zeit – endlich – stillsteht.

5
    Wenn ich zurückdenke, ist mir rätselhaft, wie ich die Zeichen übersehen konnte.
    Gewiss, der Frühling in der Steppe kommt nicht so pompös daher wie in Mitteleuropa. Er kommt schleichend, geduckt, er entfaltet keine Pracht, hinterlässt aber Spuren. Habe ich sie nicht gesehen? Aber ich erinnere mich doch! An die gelben Blüten zum Beispiel, die plötzlich die Steppe besprenkeln.
    Die Sonne, ich habe es sogar ausgemessen, geht täglich etwa eine Minute früher auf – und später unter. Allmählich verschiebt sich der Punkt, wo sie abends den Horizont trifft, und bald, man ahnt es, wird das rote Abendlicht nicht mehr über dem Meer, sondern weiter westlich, über dem Festland, flimmern.
    Auf den Gipfeln der fernen Sierra Nevada blinkt noch immer der Schnee, aber die Nächte hier unten haben längst ihren Schrecken verloren. Die Anzahl der Kerzen, die ich abends entzünde, hat sich inzwischen auf eine einzige reduziert, die ich obendrein nicht wegen der Temperatur, sondern wegen der, nennen wir es: Gemütlichkeit anzünde.
    Zwar ist der Himmel tatsächlich fast immer blau, und auch die gelegentlich vorbeiziehenden Kumuluswolken vermögen, wenn man auf dem Rücken am Strand liegt, ein Gefühl von Zeitlosigkeit zu erzeugen. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass hin und wieder bewölkte Tage das Gleichmaß stören, und es gab jenen Sturm, in dem der Amerikaner verschwand.
    Einmal zieht von Afrika her eine gewaltige Nebelwand auf. Sie nähert sich so schnell über das Wasser, dass mir bange wird. Dann verdunkelt sich der Himmel, und ringsum riecht es plötzlich nach Diesel.
    Einmal regnet es! Kein Regen nach mitteleuropäischen Maßstäben, nicht ausreichend, um etwa eine Pfütze zu bilden. Doch sofort haben die Leute ihre Schirme herausgekramt, als wären sie froh, das Utensil einmal im Jahr nutzen zu dürfen.
    Überhaupt: die Leute! Allmählich füllt sich die Geisterstadt. Zumindest an den Wochenenden kommen sie, noch nicht zum Baden, aber zum Speisen: Leute aus der Umgebung, Einheimische, die sich trotz der für meine Begriffe sommerlichen Temperaturen ins Halbdunkel des Restaurants verkriechen – bis eines Sonntags plötzlich ein Paar an «meinem» Tisch vor dem Restaurant sitzt.
    Wenn sie gegessen haben, promenieren die Leute, und zwar buchstäblich: Für ein, zwei Stunden ist die Promenade von Cabo de Gata voller Menschen in
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