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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata
Autoren: Eugen Ruge
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und (wie ich mir vielleicht nur einbildete) Sekt trinkend. Später hatte ich unfreiwillig ein Liebespaar zwischen zwei benachbarten Kähnen belauscht und war dann lange wachgelegen in der Angst, entdeckt zu werden. Beides – für einen Penner oder für einen Spanner gehalten zu werden – war keine angenehme Vorstellung. Erst im Morgengrauen schlief ich ein und erwachte, den Hut vor Augen, erst als die Sonne schon recht hoch am Himmel stand.
    Ich marschierte den ganzen Tag. Ich erinnere mich, dass ich Kopfschmerzen hatte, als endlich die Bucht von Cabo de Gata in der Ferne auftauchte. Eine Stunde später schritt ich – und ich glaube noch heute, mich an das angenehme Gefühl von festem Boden unter meinen Füßen zu erinnern, nach dem kilometerlangen Marsch durch den Sand – die wohlbekannten, großflächigen Gehwegplatten ab, mit denen die Strandpromenade gepflastert war, unter Auslassung jener quadratischen Rabatten mit gummiartigen Pflanzen, zwischen denen der stoische Müllmann freitags vergeblich Schnipsel aufzupicken pflegte. Die alte Señora zog gerade das ewig klemmende Ziehharmonikagitter vor der Eingangstür zu. Die gescheckten Möpse rannten in der Abendsonne umher, stumm und friedfertig wie ein Schwarm Fische.
    Pünktlich um acht Uhr fand ich mich am Briefkasten ein. Ich erinnere mich an das vorwurfsvolle Mauzen, mit dem die Katze aus einer Nische huschte; daran, wie sie mir im üblichen Abstand folgte, oder, genauer gesagt, daran, dass es mir plötzlich seltsam, ja fast wie ein Akt der Verstellung vorkam, dass sie sich da unten flach auf dem Boden, auf allen vieren bewegte.
    Da kein Katzenfutter da war, teilte ich mit ihr meinen letzten Manchego-Käse, hätte ihr – der hungrigen Schwangeren, der ich ja selbst beigebracht hatte, sich auf mich zu verlassen – fast noch meine eigene Portion zugebilligt. Das tat ich zwar nicht, ich erinnere mich aber, dass ich mir beim Einschlafen oder jedenfalls um die Stunde, als die Katze auf meinen Füßen saß und ich das zarte Stoßen der ungeborenen Katzenjungen spürte, vornahm, für die Katze zu sorgen, bis ihre Jungen geboren und aus dem Gröbsten heraus waren: Diese kleine heimliche gute Tat wollte ich, wenn ich schon sonst nichts zustande gebracht hatte, abrechnen können.
    Am nächsten Tag grüßten mich alle, fragten, wo ich gewesen sei: Paco, Alfredo und Carlos, auch der alte Paco. Sogar der stumme Barmann (der mir, das muss ich zugeben, schon längst kein Zuckerröhrchen und keinen Keks mehr auf die Untertasse legte) machte, als ich eintrat, ein Geräusch, das man als Gruß hätte deuten können oder jedenfalls als Ausdruck dafür, dass er mein zweitägiges Fehlen bemerkt hatte.
    Ich nahm meinen Tagesrhythmus wieder auf oder versuchte es zumindest. Allerdings liefert mein Gedächtnis zu dieser Periode nur wenige Bilder.
    Ich weiß nur noch, dass ich, genervt vom Publikumsverkehr auf der Promenade, des Öfteren meine angestammte Bank floh und mit der Isomatte in die Steppe zog. Zwar ließ ich niemals das Mittagessen ausfallen – im Gegenteil, je weiter meine Barschaft zusammenschmolz, desto stärker war ich darauf erpicht, alles restlos aufzuessen. Ich erinnere mich an eine regelrechte Fressgier, die mich befiel, ich fing an, «systematisch» zu essen, mit kleinen Pausen, um ja alle drei Gänge vollständig in mir zu verstauen (nicht, dass die alte Señora auf die Idee käme, mir am nächsten Tag weniger aufzutun!) – das Mittagessen ließ ich nie ausfallen, Billard jedoch spielte ich immer seltener und dann zumeist gegen den stummen Barmann, der, glaube ich, ebenfalls Paco hieß und dessen goldenes Kettchen, wie ich mich erinnere, über dem grünen Filz nicht zur Ruhe kam, wenn er sich weit über den Tisch beugte, um einen komplizierten Stoß zu berechnen.
    Auch meine Spaziergänge wurden sowohl hinsichtlich der Distanz als auch hinsichtlich der Frequenz immer unregelmäßiger, und wenn ich doch noch einmal bis zu der Eisenkiste marschierte, die ich den Sarg getauft hatte, so kann ich mich nicht erinnern, je wieder die amerikanischen Nationalhymne gesummt zu haben, eher meine ich, dass es mir, als ich dort stand und aufs Meer schaute, absonderlich vorkam, es jemals getan zu haben.
    An mehr erinnere ich mich nicht.
    Oder doch, ich erinnere mich natürlich daran, dass ich in dem kleinen Promenadencafé saß, das seinen saisonalen Betrieb gerade wiederaufgenommen hatte. Ich erinnere mich, dass ich dort nach und nach allerlei Leute kennenlernte, Touristen
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