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Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc
Autoren: Admin
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verschaffen. Wenn er keine Hinweise auf Anwesenheit der Polizei fand, würde er die Stadt betreten und die Konsequenzen auf sich nehmen. Er hatte nicht den ganzen Weg zurückgelegt, um jetzt wieder umzukehren.
    Midian offenbarte nichts vor sich selbst, während er sich an seiner südöstlichen Flanke entlangbewegte, außer vielleicht seiner Leere. Er konnte nicht nur keine Spur von Polizeifahrzeugen auf den Straßen sehen, oder zwischen den Häusern verborgen, er konnte überhaupt kein Auto-mobil sehen; keine Lieferwagen, kein landwirtschaftli-ches Fahrzeug. Er fing an, sich zu fragen, ob die Stadt eine dieser religiösen Gemeinschaften sein konnte, von denen er gelesen hatte, deren religiöse Dogmen ihnen Elektrizi-tät oder Verbrennungsmotoren verweigerten.
    Doch während er den Kamm eines kleinen Hügels erklomm, auf dessen Gipfel Midian stand, kam ihm eine zweite und einfachere Erklärung. Es war niemand in Midian. Bei diesem Gedanken blieb er unvermittelt stehen. Er sah zu den Häusern, suchte nach Spuren von Verfall, konnte aber keine finden. Soweit er erkennen konnte, waren alle Dächer intakt, und kein Gebäude schien am Rande des Zusammenbruchs zu sein. Doch obwohl die Nacht so still war, daß er das Huschen von Sternschnuppen über sich hören konnte, hörte er nichts aus der Stadt. Hätte jemand in der Stadt im Schlaf ge-stöhnt, hätte ihm der Wind den Laut zugetragen. Aber es herrschte Stille.
    Midian war eine Geisterstadt.
    Er hatte noch nie in seinem Leben solche Einsamkeit 45

    empfunden. Er stand da wie ein Hund, der nach Hause zurückgekehrt war und feststellte, daß seine Herren fort waren, und der nun nicht wußte, welchen Sinn sein Lebe n jetzt noch hatte oder ob es jemals wieder einen haben würde.
    Er brauchte ein paar Minuten, um sich aufzuraffen und seinen Rundgang um die Stadt fortzusetzen. Doch zwanzig Meter von der Stelle entfernt, wo er gestanden hatte, legte ihm die Kuppe des Hügels den Blick auf eine Szenerie frei, die sogar noch geheimnisvoller als das verlassene Midian war.
    Auf der anderen Seite der Stadt befand sich ein Friedhof. Boones erhobene Position ermöglichte ihm ungehindert Ausblick darauf, obwohl hohe Mauern den Friedhof umgaben. Er war offenbar für die gesamte Umgebung erbaut worden, war er doch deutlich größer, als es eine Stadt von Midians Größe jemals benötigt haben würde.
    Viele der Mausoleen waren von eindrucksvollen Abmes-sungen, soviel war selbst aus der Entfernung zu erkennen, und die Anlage von Wegen, Gräbern und Bäumen verlieh dem Friedhof das Aussehen einer Kleinstadt.
    Boone schritt den Hang des Hügels hinab darauf zu, sein Kurs führte ihn von der Stadt selbst weg. Nachdem der durch die Annäherung an Midian ausgelöste Adrena-linstoß abgeklungen war, stellte er fest, daß seine Kraftre-serven zunehmend schwanden; Schmerzen und Erschöp-fung, die von der Aufregung betäubt worden waren, kehrten nun mit aller Macht zurück. Er wußte, es konnte nicht mehr lange dauern, bis seine Muskeln völlig aufga-ben und er zusammenbrach. Vielleicht würde er hinter den Friedhofsmauern eine Nische finden, in der er sich vor seinen Verfolgern verstecken und die müden Knochen ausruhen konnte.
    Es gab zwei Zugänge. Ein schmales Tor an der Stein-46

    mauer und ein Doppeltor, das der Stadt zugekehrt lag. Er entschied sich für das erstere. Es war verriegelt, aber nicht verschlossen. Er stieß es behutsam auf, und trat ein. Den Eindruck, den er auf dem Hügel gehabt hatte, daß der Friedhof wie eine Stadt wirkte, wurde hier bestätigt, die Grabmäler rings um ihn herum stiegen hoch empor. Ihre Größe und, jetzt da er sie eingehender betrachten konnte, ihre Verzierungen verblüfften ihn. Welche großen Familien hatten die Stadt oder ihre Umgebung bewohnt, wohl-habend genug, daß sie ihre Toten in solchem Prunk begraben konnten? Die kleinen Gemeinden der Prärie klammerten sich für ihren Unterhalt an das Land, aber es machte sie selten reich; und wenn es gelegentlich doch vorkam, durch Öl oder Gold, dann nie in solc h großer Zahl. Und doch befanden sich prachtvolle Grüfte hier, Reihe für Reihe, die in allen möglichen Stilrichtungen erbaut worden waren, von Klassik bis Barock, und die –
    doch war er hier nicht sicher, ob seine erschöpften Sinne ihm keinen Streich spielte n – mit Motiven widerstreitender Theologien geschmückt waren.
    Das verstand er nicht. Er brauchte Schlaf. Die Gräber standen seit einem Jahrhundert oder länger; das Rätsel würde bei
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