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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball
Autoren: Stefan Holtkötter
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Verbarg sie unter seinem Jackett,
so gut es eben ging. Dann setzte er sich langsam in Bewegung. Vorbei an den
Rettungsärzten, den Polizisten, an all den Toten und Verletzten. Er ließ das
ganze Durcheinander einfach hinter sich. Keiner hielt ihn auf.
    Er musste Marlon finden. Der musste doch noch irgendwo im Gebäude
sein. Er würde ihn finden, und dann würde er ihn erschießen.
    Mit hölzernen Bewegungen durchschritt Niklas den Vorraum und
erreichte schließlich das hell erleuchtete Foyer. Es waren kaum noch Gäste
dort. Nur Polizisten und Sicherheitsleute. Von Marlon keine Spur.
    Natürlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie das riesige Gewehr
entdeckten, das Niklas notdürftig mit seinem Jackett bedeckte.
    »Hey, du! Stehen bleiben!«
    Er achtete nicht darauf, ging einfach weiter.
    »Stehen bleiben! Hände hoch!«
    Niklas sah sich um. Überall waren Uniformierte. Sie zogen ihre
Pistolen, gingen hinter Säulen und Bierständen in Deckung. Zielten auf ihn.
    Niklas zog das Gewehr hervor. Er hatte immer noch keine Ahnung, wie
man das Ding überhaupt bediente.
    »Waffe fallen lassen! Sofort!«
    Aber er konnte sie nicht fallen lassen. Er musste Marlon finden. Das
war das Einzige, was noch wichtig war. Als er zu schreien begann, klang seine
Stimme wie eine offene Wunde.
    »Meine Schwester!«
    Er riss das Gewehr hoch. Er musste Jules Tod rächen. Nichts durfte
ihn aufhalten.
    »Meine Schwester!«, schrie er.
    Dann fiel ein Schuss. Niklas spürte die Wucht des Einschlags, noch
bevor er den Knall hörte. Er stürzte zu Boden. Dann wurde es dunkel um ihn.
    Adelheid lief Marlon, ohne nachzudenken, hinterher. Nachdem der
Kommissar geschossen hatte, war Marlon zu einem Wandvorhang gestolpert und hinter
dem Stoff abgetaucht. Sie musste ihn stoppen. Es war falsch, was er hier tat.
Wenn ihn überhaupt irgendwer stoppen konnte, dann sie.
    Sie achtete nicht auf das Chaos und auf die Schreie im Saal. Sie
hatte nur Augen für den Wandvorhang und die kleinen Bewegungen, die dahinter zu
erkennen waren. Als sie hinter den Stoff trat, war Marlon nirgends mehr zu
sehen. Hatte sich scheinbar in Luft aufgelöst. Erst nach endlosen Sekunden
entdeckte sie eine Tür. Sie stieß sie auf und lief hindurch.
    Auf der anderen Seite war ein breiter heller Gang. Wieder hörte sie
Schüsse. Ein paar Meter von ihr entfernt humpelte Marlon in Richtung des
Foyers. Dabei hielt er eine Pistole vor sich her und gab immer wieder Schüsse
ab.
    Sie folgte ihm. Ihr ging es längst nicht mehr nur darum, das Leben
weiterer Unschuldiger zu schützen. Vor allem wollte sie Marlon schützen. Vor
sich selbst und vor der Polizei. Wenn sie es nicht schaffte, ihn zu stoppen,
wäre er verloren. Die Polizisten würden ihn erschießen.
    Sie lief hinter ihm her und holte auf. Als er nur noch ein paar
Schritte entfernt war, rief sie seinen Namen.
    »Marlon!«
    Er wirbelte herum, die Waffe im Anschlag. Eine Sekunde lang dachte
sie, das wäre nun das Ende. Sie hatte ihre Möglichkeiten überschätzt. Es lag
nicht in ihrer Macht, ihn zu stoppen. Marlon war wie in Trance. Starrte sie an,
ohne zu begreifen. Doch dann bewegte sich etwas in seinen Zügen, er zögerte,
und schließlich ließ er die Waffe sinken.
    »Geh weg von hier«, sagte er.
    Adelheid spürte, wie sie zu zittern begann. Sie schüttelte den Kopf.
    »Hörst du etwa nicht? Verschwinde, verdammt noch mal!«
    »Nein. Ich will nicht verschwinden. Ich will bei dir sein.«
    Wut flammte in seinem Gesicht auf. Er stürmte auf sie zu. Adelheid
floh in eine Nische.
    »Weg hier! Sonst knall ich dich ab!« Er hielt ihr die Waffe an den
Kopf. Seine Augen verdunkelten sich. Die Entschlossenheit kehrte zurück.
    Adelheid spürte Verzweiflung in sich aufsteigen. So sollte das nicht
laufen. Nicht zwischen ihr und dem König. »Dann schieß doch!«, schrie sie ihm
entgegen. »Schieß! Vielleicht ist es ja das Beste.« Sie riss sich den
Brokatstoff von den Schultern und streckte ihm das ungeschützte Dekolleté
entgegen. »Na los! Schieß!«
    Er zögerte. Adelheid machte ihrem ganzen Unglück Luft.
    »Weshalb soll ich denn leben?«, schrie sie. »Zu welchem Zweck? Sag
mir das, wenn du kannst! Weshalb?«
    Er antwortete nicht. Ihre Stimme wurde lauter.
    »Vielleicht tust du mir ja einen Gefallen, wenn du mich tötest. Für
mich gibt es hier eh keinen Platz. Also los. Schieß endlich!«
    Doch Marlon ließ die Waffe sinken. Plötzlich sah er aus wie immer,
so wie sie ihn aus dem Schulbus kannte und von den Aufführungen der
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