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Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Titel: Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
Autoren: Leander Haußmann
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seit der missglückten Generalprobe bis an diesen Termin herangetrunken hatten.
    Und am Morgen meiner ersten Premiere als Regisseur sang der Hahn sein ahnungsvolles Lied vom Scheitern und vom Tod.
     
    Von Berlin mit dem Auto zwei Stunden, mit der Bahn fünf Stunden. Die Schnellbahn hatten die reichen Bürger der Gründerzeit der Ruhe wegen weiträumig um Parchim herumfahren lassen, ließ ich mir sagen. Die einstmals weißen, nun grauen Villen, von sowjetischen Offizieren bewohnt, zeugten von vergangener Pracht. Die Stadt war geprägt von der sowjetischen Besatzungsmacht. Hängt die Wäsche weg, sperrt die Mädchen ein, der Russe hat Ausgang, hieß es.
    Unser Publikum war überschaubar und so schielten wir nach Berlin, in die Hauptstadt der Avantgarde. Dorthin, wo Castorf war, und alles, was Rang und Namen hatte. Wenn es gut lief, spielten wir drei Aufführungen des Stückes vor Ort. Bei vier galt der Abend als Erfolg. Alle anderen Vorstellungen gaben wir auf dem Land: in Clubhäusern, Kasernen und Dorfkneipen. Die Bühnenbilder und Schauspieler mussten aus Gummi sein, so flexibel, dass sie auf jede Bühne passten.
    An der Fußgängerzone gelegen, war das Landestheater Parchim ein ehemaliges Hotel, das die Russen zum Theater erklärt hatten. Das eigentliche Theater, ein prächtiger Jugendstilbau, wurde von den theaterbegeisterten Russen als Kommandantur, später dann von der Volkspolizei als Polizeiwache genutzt.
    Hier arbeiteten Freaks. Für mich, Absolvent der renommierten Schauspielschule »Ernst Busch«, der seine vielversprechende Karriere als jugendlicher Liebhaber am Stadttheater Gera begonnen hatte, war Parchim nicht nur Abenteuer, sondern auch Abstieg. Das Ende meiner Laufbahn im Sibirien der DDR -Theaterlandschaft.
    Denn Parchim war 1988 nicht nur einer der bevölkerungsärmsten Orte, nicht nur tiefste Provinz, sondern auch in den Fünfzigerjahren hängen geblieben wie die Nadel in der Rille einer Langspielplatte. Parchim war Weltanschauung. Parchim war der Gulag, in den die Überflüssigen, die Abgeschriebenen, die Über- und Unterbegabten abgeschoben wurden. Aber eben auch Experimentierküche für alles, was kommen würde. Konzentrierte Selbstbeschauung, Großkotzigkeit im Kleinformat. Parchim war wie das Kinderzimmer für unartige Kinder: abgeschlossen und Schlüssel weggeworfen.
    In dem kleinsten Intendantenbüro der Welt thronte ein SED -Idealist im grauen Mischgewebeanzug, bei dem es einen schon beim bloßen Hinsehen juckte. Ein echter Künstlerfreund und ein trauriger Ermöglicher, das war Wolfgang Thiede, Intendant der Landesbühnen Parchim. In seinem Vorzimmer saß die eigentliche Chefin, Heide-Rose, nicht nur Zerberus, auch Mutter für alle Probleme. Heide-Rose war die Seele des Theaters, sie war das Zentrum. Was Heide-Rose nicht wusste, wusste niemand. In ihrem Wuschelpullover steckte sie in ihrem Drehstuhl und beherrschte das kleine Theater wie eine schwebende, pinkfarbene Fluse.
     
    Das Krähen des Hahns und das Rumpeln, das schon seit meiner Ankunft hier in Parchim aus dem Magen des Theaters kam, als würde es eine schlechte Mahlzeit verdauen, prägte den Sound meiner ersten Probe als Regisseur. »Was ist das eigentlich für ein Rumpeln?«, fragte ich.
    »Was für ein Rumpeln?« Michael Gitter, seit zwei Jahren Protagonist des Theaters, hörte in die Stille. Es rumpelte nicht. Nur der Hahn krähte. »Es ist der Hahn«, sagte Gitter. Und ich zweifelte an meinem Verstand, hatte ich es doch sehr genau gehört, dieses Rumpeln.
    Schon am Anfang waren sie mir aufgefallen, die Männer. Sie saßen morgens in der Kantine, vertilgten billige Zigarren zum Frühstück, trugen Trainingsanzüge und glotzten die Leute vom Theater mit finsteren Mienen an. Um neun Uhr dreißig erhoben sie sich in Zeitlupe und verschwanden hinter einer braunen schmalen Holztür.
    Eines Abends beschloss ich, herauszufinden, was hinter der braunen Tür war. Ich stieg vorsichtig die Treppe hinunter, machte das Licht an und da sah ich sie: eine dreistöckige, gigantische Kegelanlage mit mindestens zehn Bahnen.
    »Na klar«, erklärte man mir später, als sei das nie ein Geheimnis gewesen, »den Kegelverein gibt es schon seit 1933. Uns gibt es hier erst seit dem Bitterfelder Weg.«
    Seitdem beruhigte mich das rumpelnde Geräusch. Es trainierte der traditionsreiche Kegelverein von Parchim. Solange das so war, war die Welt irgendwie in Ordnung. Denn es bewies ja: Qualität hat Bestand.
     
    Zunächst musste meine Rolle umbesetzt
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