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Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)

Titel: Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
Autoren: Leander Haußmann
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werden, damit ich bei Ibsens »Hedda Gabler« unten sitzen konnte. Ich rief Ralf Dittrich an, der damals schon so alt war wie heute. Er kam flink wie eine Feuerwehr und übernahm den Part von Hedda Gablers schlappem Ehemann. Wir hatten nur noch drei Wochen Zeit für eines der, wie man so sagt, schwierigsten Stücke der Weltliteratur.
    Die Kostümbildnerin machte Dienst nach Vorschrift, denn sie war beleidigt. Die Bühnendekoration war erst halb fertig und auch erst zur Hälfte aufgebaut: der obligatorische Wintergarten mit seinen verglasten Gitterrosten, die aufgrund der gestutzten Maße der Bühne eher in die Höhe gebaut waren und deshalb bei jeder Bewegung hin und her schlabberten, und die Türen links und rechts, die die Wände ebenfalls zum Beben brachten, wenn einer von uns auftrat, was aufgrund unserer Jugend meist stürmisch geschah. Das dünne Holz der Seitenwände bog sich gefährlich, und mit jedem Schritt auf dem mit Fischgrätenparkett bemalten Bodentuch schien die ganze Schose jeden Moment in sich zusammenfallen zu wollen. Die eigentliche Schreckensnachricht aber war, dass es kein Holz mehr gab, um das Bühnenbild fertigzubauen. Und wir hatten nur noch zwei Wochen.
    Unser Chefdramaturg, der Bezirksparteisekretär und Volkskammerabgeordnete, unterbrach seine juristische Vorbereitung zum Prozessbeginn der Causa Hahn und widmete sich nun mit ebenso großer Leidenschaft der Fertigstellung des Bühnenbildes von »Hedda Gabler«. Tatsächlich gelang es ihm, beim VEB -Amt für Forstwirtschaft eine Schlaggenehmigung zu erwirken, die die Belegschaft der Landesbühnen berechtigte, sich bewaffnet mit Beilen und Äxten in den Wald zu begeben, um geeignete Bäume zu fällen. Auf freiwilliger Basis versteht sich. So wurde es gemacht.
    Als wir um sechs Uhr morgens, noch verkatert von der Tages- und Nachtprobe, mit einigen Kontergetränken im nahe gelegenen Wald standen, die Beile und Äxte in den schlappen Armen, gab Schortie Folgendes zu bedenken: »Wenn wir in zwei Wochen Premiere haben, das Holz aber noch abliegen, verarbeitet und zurechtgesägt werden muss, dann schaffen wir das ja gar nicht.« Schortie hieß eigentlich Steffen Schult und war als Schauspieleleve mit Regieassistentenverpflichtung auf dem besten Wege, nicht nur ein Faktotum des Landestheaters Parchim, sondern der gesamten DDR -Theaterszene zu werden. Was er zu diesem Zeitpunkt nicht wissen konnte, war, dass er ein ganzes Stück Weges mit mir gehen, sich sogar Wohnungen mit mir teilen würde. Von Parchim nach Weimar, über Berlin bis nach Bochum. »Dann müssen wir also«, sagte Schortie an diesem Morgen im Parchimer Wald, »die Premiere verschieben.«
    Da meldete sich auch Uwe zu Wort, der damals schon so viel wusste wie heute: »Das stimmt, Holz muss erst mal liegen.«
    »Das ganze Harz muss da ja raus«, sagte Irmchen Kummerow, unsere Hauptdarstellerin.
     
    Das Verschieben einer Premiere kam nie mehr so sehr nicht infrage wie in Parchim an den Landesbühnen. Die Vorstellungen waren nach einem seit dem Bitterfelder Weg bewährten Plan auf Mecklenburg verteilt. In wuchtigen Klubhäusern, winzigen Kaschemmen, ensemblelosen Theaterkästen, quadratischen Hallen und monumentalen Multifunktionsbauten, in schmucken Hoftheatern und Kurhäusern kämpften wir an vorderster Front für die Kunst. Wenn in den großen Städten Theatermachen war wie Auf-dem-Feldherrnhügel-Stehen, so befanden wir uns hier in den Schützengräben. Auch die zahlreichen Kasernen seien hier erwähnt, in denen es Theater auf Befehl gab, was ich, wenn ich ganz ehrlich bin, schon immer eine schöne antike Idee fand.
    Als Irmchen Kummerow als Hedda Gabler später die Bühne im Armee-Klubhaus »Erich Weinert« betrat, herrschte Stille unter den eingerückten Kompanien. Es war nicht jene Stille, die sich normalerweise von einem theaterbegeisterten Zuschauer in Form wissender Konzentration dem Schauspieler als Interaktion mitteilt. Nein, es war etwas anderes. Es ließ sich nicht vermeiden, dass Irmchen sich vornüberbeugen musste, um ein Blumenbukett zurechtzuzupfen, wie ich es inszeniert hatte. Die Vase stand auf einem sehr niedrigen Tisch und der stand sehr weit vorne an der Rampe. Irmchen musste sich demzufolge sehr tief nach vorne beugen. Wer einmal in seinem Leben aus tausendfünfhundert trockenen Männerkehlen das Wort »Titten!« gehört hat, weiß, welche Emotionen Theater bei den Menschen auszulösen imstande ist. Da war der Bitterfelder Weg, wenn auch auf ganz spezielle Weise,
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