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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Klepper
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Besserung. Sein Atem wurde schwerer. Er ist sehr schwach geworden,sagte man Minna am nächsten Morgen. Man könne nur noch auf die Erlösung warten. Sie konnte und durfte nicht längere Zeit an seinem Bett bleiben. Wilhelm war bei ihm, er wolle sie holen, wenn es so weit sei.
    Wenn es so weit ist, wiederholte Minna.
    Es war Sonntag. Stille herrschte auf der Straße, im Haus.
    Die beiden Frauen lasen zusammen Gedichte, sprachen über Büchner. Gegen drei Uhr nachmittags kam Wilhelm zu ihnen.
    Kommen Sie, Minna.
    Kein wacher Moment mehr, aber auch kein Delirium.
    »Er ist sanft eingeschlummert«, schrieb sie, »ich habe ihm die Augen zugeküsst, Sonntag, den 19. Februar, um halb 4.«
    Ständig, ununterbrochen erinnerten sich alle an Georg. Er hätte ja an ihrem täglichen Leben teilgenommen, ja fast für jeden Gegenstand eine geistreiche Bemerkung übrig gehabt, meinte Caroline. So sprachen sie davon, und Minna dachte nur, dass sie seit drei Monaten keinen Anteil daran hatte. Nur in seinen Briefen waren Stückchen davon zu ihr gekommen.
    Fast wie einer Fremden wird mir hier berichtet, wie er geredet hat. Ich weiß es doch! Hört auf! – Sie nickte und sprach mit, so gut sie konnte, bis die Stimme brach. Die Tränen. Immer wieder. Caroline fiel ihr um den Hals und weinte mit ihr.
    Caroline war es dann, die die Nachricht an Georgs Eltern schrieb. Minna setzte so gut es ging einige Zeilen an ihren Vater auf.
    Am Dienstag sollte er beerdigt werden. Lorbeer und Myrten mussten es sein. Das Grün wurde besorgt, in die Wohnung getragen.
    Lorbeer und Myrten? – Ja, und den ganzen Sarg soll der Kranz umschlingen, wie es hier üblich ist.
    Die beiden Frauen setzten sich und begannen, die Zweige zusammenzuflechten. Unten wurde der Sarg im Hausflur aufgebaut. Alles in einer starren Feierlichkeit.
    Minna greift in die Blätter, arbeitet still vor sich hin. Der Duft des Grüns steigt auf. Wieder kommen Tränen. Alle schauen auf sie. Heute muss es noch überstanden werden. Die Beerdigung? Wollen Sie wirklich dabei sein, Minna?
    Sie sieht auf, ihre Finger suchen Halt im Kranz, im Lorbeer und in der Myrte. Ich? Muss ich? Darf ich? – Warum muss ich diese Entscheidung treffen?
    Wollte man ihr nahebringen, dass sie als Verlobte nicht den Stand einer Witwe einnehmen könne? Wie sollte man sich ihr gegenüber am Grab verhalten?
    Sie band noch einen kleinen Kranz und bat Wilhelm, diesen Georg aufs Haupt zu legen.
    Schließlich war sie nicht mitgegangen auf den Friedhof. Am Mittag hatte sie zusammen mit Caroline das Haus verlassen, um erst am Abend wieder in der Steingasse einzutreffen.
    ***
    Ende Februar 1837 kehrte Wilhelmine nach Straßburg zurück. Aus Zürich hatte sie alle Unterlagen Büchnersmitgenommen. Seine anatomischen und literarischen Notizen, Manuskripte und Entwürfe zu Dramen, seine Bücher, seine Schreibutensilien, seine Kleidung. Und eine Art Tagebuch, das, so Caroline Schulz, reiche Gedankenschätze enthielt. Georg blieb auf dem Friedhof Zum Krautgarten.
    Es gab kein Leben mehr in Zürich.
    In seiner Züricher Kammer soll Minna mit den Schulzens nach dem nie gesehenen Manuskript zum »Pietro Aretino« gesucht haben. Später wird man ihr vorwerfen, sie habe das Manuskript aus religiösen Bedenken vernichtet, wie man ihr überhaupt nachsagen wird, aus Halsstarrigkeit und Unverständnis den Nachlass ihres Verlobten zurückgehalten zu haben. Aber das ist später.
    In dieser Kammer fand sie, was zu finden war: Reste eines aufreibenden Lebens, rastloser Gedankenarbeit. Der »Aretino« blieb ein Phantom.
    Stattdessen fiel ihr ein Manuskript zu seinem Drama »Dantons Tod« in die Hände, und zwischen den kleinen welligen Sätzen, den durchgestrichenen und ausgebesserten, den wiederholten und markierten Wörtern stand der Satz: »O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe!«
    Sehen Sie, Caroline? Minna setzte sich an den spartanischen Schreibtisch der schmucklosen Kammer und zeigte Caroline das Manuskript zum Mitlesen.
    Danton sehnt sich danach, nicht allein in den Tod gehen zu müssen. Nicht wahr, so hatte es Georg sehen wollen, und er ließ Julie folgen, so, wie wir damals darüber gesprochen haben, über den Freitod des Girondisten Roland, der seiner hingerichteten Frau folgte.
    Ja, Minna, ich erinnere mich.
    Sie alle kannten die »Mémoires de Madame Roland«, die ein Opfer der großen Revolution geworden war, und Georg war derjenige gewesen, der den Selbstmord Rolands verteidigte: »Ihn brachte nicht die
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