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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Klepper
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Konsistorialpräsidenten Jaeglé. Eine mit Wiesenblumen verzierte kleine Tasse, eine von ihren Kindertassen, hielt sich Minna an die Lippen. Zwei Geschwister hatten sie verloren.
    Wir haben doch Übung in solchen Trauerzeiten, nicht wahr, Theo, sagte Minna in die Tasse hinein. Theo sah auf, nickte, hielt etwas ungeschickt zwei Vasen in Händen, und im selben Moment wusste sie, für ihn galt die Trauer dem Vater, die um seinen zukünftigen Schwager mochte er schon verwunden haben, nach Monaten.
    Ja, wir haben getrauert, sagte der Bruder. Und ich weiß, für dich sind jetzt auch die Aussicht auf Ehe und Mutterschaft, und was man sonst noch mit Glück verbindet, gestorben.
    Seine Stimme brach, er senkte den Kopf und wischte sich mit dem Ärmel über die Augen.
    Ach, Theo. Minna lächelte. Es ist schon gut, dass du nicht Pfarrer wirst. Du würdest ja ständig mit deiner Gemeinde weinen. Als wir unsere Eltern noch hatten, weißt du, Theo? In Barr damals, als unsere kleine Julie-Adelaide gestorben ist. Das war eine andere Trauer.
    Es waren jedes Jahr kleine Kinder im Ort gestorben, Vater begrub sie, und das Leben ging weiter.
    Entsetzlich schnell. Und die Sommer waren so warm und lang.
    Minna war neun gewesen und vergaß die kurze Trauer bald. Dann, als Jacques-Jules mit viereinhalb Jahren starb, bereits in Straßburg, war Minna siebzehn, und sie und Louis-Théodore hatten sich heulend in den Armen gelegen, zweimal oder dreimal. Auch das verging. Aberdie Mutter blieb stumm. Margaretha Jaeglé hatte ihre Kinder nie mit besonderer Aufmerksamkeit angesehen. Stets war sie für alles gleichzeitig da: für die Küche, den Mann, die Kinder, die Besucher, den Garten und die Nachbarn. Nun schien es aber, dass sie niemanden mehr ansah. Sie wurde dünn und schwach. Du bist ja da, sagte sie zu Minna.
    Acht Monate nach Jacques-Jules starb die Mutter. Sie hatte zu viele Kinder verloren und zu wenig ihr eigenes Leben geliebt. Sie hatte es ausgehalten. So wie auch die Frühgeburten, von denen Minna lange nichts wusste.
    Das ist eben so, hatte die Mutter erklärt. Die Wehen setzen manchmal vor der Zeit ein. Da kann man nichts machen.
    Solche Sätze warf ihr die Mutter dann und wann hin, aus heiterem Himmel. Sie gehörten zur Unterweisung der älter werdenden Tochter, so wie sie es selbst gelernt hatte. Eine Schullehrertochter aus Nonnenweier im Breisgau war sie, die Pfarrfrau wurde, weil ihr Vater und ihr zukünftiger Mann übereingekommen waren. Minna erinnerte sich nicht, ihre Mutter wirklich klagen gehört zu haben. Sie hatte das Leben ausgehalten.
    Minna konnte nicht sagen, wann es begonnen hatte. Aber ganz sicher in der Zeit in Barr, seit sie acht war, hatte sich die Abneigung gegen dieses Wort hervorgeschält: aushalten! Bald hatte sie bewusst und heimlich an ihre Abendgebete angefügt: und lasse mich nichts im Leben aushalten müssen. Amen und gute Nacht.

1810 bis 1818, Scharrachbergheim und Goxwiller
    Nur das Land draußen kannte Minna als Kind. Die Gesichter von Vater und Mutter, von Louis-Théodore und Julie-Adelaide, die in Barr auf dem Friedhof blieb. Mit dem kleinen Jacques-Jules auf dem Arm der Mutter waren sie nach Straßburg gezogen. Das war dann das bessere Elsass.
    Das Land war dort, wo die Frömmigkeit zunächst aus der Ehrfurcht vor dem Pfarrer bestand. In den niedrigen Häusern trennten schiefe, weiß gekalkte Wände die Kammern, und in der großen Küche hatten viele Menschen Platz. Die meisten schütteten bereits dort der Frau Pfarrer ihr Herz aus und trauten sich nicht zum Pfarrer ins gepflegte Zimmer. Über dem Herdplatz der riesige schwarze Schlund der Kaminöffnung. Ob dort die Seelen hinausschwebten, wenn der Herr sie zu sich holte?
    Die Gebete waren für die Kirche da, jeder Bauer zog den Hut vor dem Pfarrer Jaeglé, bevor er sich mit ihm über die Ernte, den Traubenmost oder die Tabakpreise unterhielt.
    Was Minna von den Kindern und deren Eltern auf den Dorfstraßen hörte, klang eher aus lebendigem Herzen gesprochen als das, was sie sagten, wenn sie über die Schwellen des Pfarrhauses oder der Kirche getreten waren.
    Losch’ stähn! Nehmsch’ des dou! Oder: Hob’ ich’s dir g’sagt!, riefen die Bäuerinnen den Kindern zu, die daraufhörten wie Marionetten, denen nach einem für Minna unverständlichen Muster auch einzelne Wörter verständlich waren, Zurufe, Pfiffe und Schnalzen.
    Die Jungen wurden an den Schleifstein gerufen. Drehje! sollten sie. Drehje! Und der eiserne Griff beschrieb seinen Kreis bis
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