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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Klepper
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freitags und samstags, je zwischen zwei und dreiUhr am Nachmittag. Freilich auf seinem Zimmer, wie es auch noch lange bleiben würde, und seine Präparationen bereitete er auch dort vor, diese Fischköpfe und Fischkörper. Davon hatte er geschrieben: »… meine Phantasie ist tätig, und die mechanische Beschäftigung des Präparierens lässt ihr Raum. Ich sehe Dich immer so halb durch zwischen Fischschwänzen, Froschzehen etc. Ist das nicht rührender als die Geschichte von Abälard, wie sich ihm Héloïse immer zwischen die Lippen und das Gebet drängt? O, ich werde jeden Tag poetischer, alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus.«
    Minna!
    Die Tante stand plötzlich neben ihr.
    Minna, wir können das Gepäck erst einmal auf ein Zimmer bringen.
    Ja.
    Minna stand auf.
    Ruh dich dort bitte aus. Ich gehe dann zu Schulzens.
    Ja – ja. Du kommst noch mit aufs Zimmer?
    Es gab keinen, der die Koffer zu tragen half.
    Alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus.
    Die Tante musste Minna zuerst in der Steingasse ankündigen.
    Ich gehe dann, Minna. Am östlichen Limmatufer, jenseits der Marktgasse. Das Haus von Dr. Zehnder? So war der Name, nicht wahr?
    Ja, Tante.
    Minna setzte sich auf das schmale Bett. Die Tante küsste sie noch auf die Stirn, streichelte ihr die Wangen wie einem kranken Kind und ging aus der Tür.
    Still war es. Das Zimmer lag zum Hof. Unten wurde ein Teppich geklopft. Dann hörte auch das auf.
    Alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus.
    Sie legte sich zurück aufs Bett, ohne die Füße hochzuziehen, schaute gegen die Decke.
    Es waren die Schulzens gewesen, an deren Leben sie sah, was es bedeutete, als politischer Flüchtling einen neuen Lebensort zu suchen, Arbeit und Sicherheit.
    Georg, der erst fast drei Monate später nach Straßburg geflüchtet war, er war doch in Straßburg kein Flüchtling! Er kam zu ihr nach Hause! Zwar konnte er als ihr Verlobter nicht wieder wie vor zwei Jahren als Student mit ihr unter einem Dach im Pfarrhaus leben, aber er war hier in der Stadt und in Sicherheit. Dass er sich erst Monate später offiziell anmeldete, zeigte seinen Flüchtlingsstatus, diese fürchterlichen Notwendigkeiten, das Dunkle, das hinter dem stand, was man politische Umstände nannte. Die wechselnden Unterkünfte in dieser Zeit, bis endlich die Adresse in der Rue de la Douane Nr. 18 angegeben und die Sicherheitskarte ausgestellt wurde. Und seine Reden von der Not der Armen, diese Diskussionen, was eine Revolution ist oder erreichen sollte, in der abendlichen Runde mit Vater, Bruder, Cousin oder Freunden. Dieses Bitten um das Führungszeugnis beim Polizeikommissar Pfister und dann beim Bürgermeister Hess in Zürich: »Das beiliegende Zeugnis kann beweisen, dass ich seit der Entfernung aus meinem Vaterlande allen politischen Umtrieben fremd geblieben bin.« War es so? Minna könnte es nicht sagen. Georg hatte viel Glück. Das wusste sie.
    Und was hatte Georg denn getan? Eine Flugschriftverfasst. Volksaufhetzung nannte das die Hessische Regierung. Auch Wilhelm Schulz hatte Flugschriften verbreitet, war dafür inhaftiert worden. Vom Kriegsgericht wurde er als Leutnant zu fünf Jahren Haft in Babenhausen verurteilt. Man erzählte sich, er konnte vor drei Jahren durch die Hilfe seiner Frau Caroline Ende Dezember von dort flüchten. Beide kamen nach Straßburg. Flüchtlinge. Minna hatte Caroline nie danach gefragt, als könnte sie die Ruhe dieser Frau zerstören, die stets so gefasst wirkte, so zierlich mit ihren blonden Korkenzieherlocken über den Ohren. Sie war mit ihr auf den Münsterturm gestiegen, hatte mit ihr Kaffee getrunken und versucht, den Schatten ihrer Sorgen zu vertreiben.
    Diese Caroline betrat nun den Gasthof, stieg zur ersten Etage hoch und klopfte an das Zimmer, das ihr Frau Schmidt genannt hatte.
    Minna sagte: Ja, richtete sich vom Bett auf, fühlte ihre schweren Beine, als sie aufstand, entschuldigte sich.
    Liebe Caroline!
    Minna!
    Carolines Gesicht zeigte unter dem Schatten ihrer Schute ein Lächeln, gut getragen, aber unsicher. Leider, Caroline, dachte Minna, Sie lächeln zu schwach.
    Und Caroline fühlte sich erkannt, wie mürbe sie war, wie aufgeregt. Sie fiel um Minnas Hals, und Minna stand seltsam fest und umfasste Caroline kräftiger als diese sie. Warum war Caroline so schwach?
    Es steht schlimm um ihn, Caroline, nicht wahr?
    Caroline öffnete ihren Mantel, atmete tief, lachte mit einem Kopfschütteln, sacht, nicht verneinend, sondern abwehrend. So als versuchte sie, mit einer Geste
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