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Büchners Braut: Roman (German Edition)

Büchners Braut: Roman (German Edition)

Titel: Büchners Braut: Roman (German Edition)
Autoren: Beate Klepper
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das Leid kleiner zu machen.
    Es ist das Fieber, das ihm so zusetzt, Minna.
    Vom Hof her hörte man Kinder Fangen spielen. Die Stadt trat wieder näher, und dann erzählte Carolines helle, zu aufgeregte Stimme. Die Ärzte seien mittlerweile sehr besorgt. Georg phantasiere viel, habe aber auch klare Momente – immer wieder. Die Angst vor der Auslieferung oder Verhaftung rufe bei ihm die groteskesten Bilder hervor. Schönlein und Zehnder täten alles.
    Carolines Stimme wurde weicher, langsamer.
    Er hat sich sehr verändert. Ich meine äußerlich. Erschrecken Sie nicht, meine Liebe.
    Da wollte Minna sagen: Ich erschrecke nicht leicht. Es erschien ihr doch zu brüsk, unpassend. Sie mochte nur noch eines jetzt wissen.
    Kann ich zu ihm? Sie nahm ihren Mantel und gab beim Anziehen zu verstehen, dass sie jedenfalls die Absicht hatte, an Georgs Krankenbett zu treten.
    Auch Caroline knöpfte ihren Mantel zu, sah zerstreut zu Boden und sagte: Ja, Sie können ihn sehen.
    Die Ärzte waren damit nur zögerlich einverstanden gewesen. Es ging nicht um eine Gefahr für den Kranken, sondern um die Gefahr für die Besucher, und keiner wollte sich in der Steingasse ausmalen, wie Minna diese völlige Veränderung, die offensichtliche Hoffnungslosigkeit des Kranken aufnehmen würde.
    Caroline ging aus dem Gasthof voran. Die Tante und Minna folgten durch die Gassen. Es sei ja nicht weit, und wenn sie ankämen, stünde ein bescheidenes Mittagsmahl bereit. Minna hörte dies alles und blickte nach oben. Nach oben muss man sehen, nicht träge auf die Füße, aufs Pflaster. Fenster mit gehäkelten Vorhängen, dahinter Stimmen, Gerüche. Man lebte. Wie viele kleine Wohnungenfür Mütter und Kinder, Großeltern. Fuhrwerke und Kraut- und Kartoffelstände unter den Torbögen am Limmatquai und in der Marktgasse. Ob man in diesem Teil der Stadt gut und günstig zu einer Wohnung käme? Die Schulzens müssten solche Dinge doch wissen. Zürich war eigentlich eine gar nicht so fremde Stadt. An vielen Ecken hätte Minna glauben können, in Straßburg zu sein. Nichts wirkte starr und knorrig.
    Für seine Präparate zu den Zootomischen Demonstrationen bräuchte Georg natürlich Platz, am besten einen eigenen Raum. Wie sollte Minna den Fischgeruch aus der übrigen Wohnung fernhalten? Ob sie ihm das dann sagen könnte? Er konnte so empfindlich sein. Seine Nerven waren über Gebühr beansprucht. Dem subtilen Selbstmord durch Arbeit, wie er scherzte, wollte er sich allerdings nicht hingeben. Er hatte es Minna versprochen.
    Dieser Weg war zeitlos und schwebte zwischen den Gedanken an eine Wohnung in Zürich und den Schritten in die Steingasse. Sie ging durch Zürich. Nach Hause zu Georg. Die Treppen hoch bis zur Türe der Schulzens, weiche, ruhige Tritte, dann das Zögern in der Fremde einer unbekannten Wohnung. Bescheidenheit in der Einrichtung. Neue Gesichter, teilnehmende Besucher, Freunde Georgs.
    Heimlich zwischen allem der Geruch von Krankenzimmer, schlechtem Atem, warmen Bettfedern und Schweiß. Diese fahle Luft der Hinfälligkeit, die durch keine noch so große Mühe aus einem Krankenzimmer vertrieben werden konnte. Sie wurde deutlicher, als Wilhelm von dort in den Flur trat, Minna die Hand drückte. Müde war er, der gute Wilhelm, sah gar nicht nach demadretten schnauzbärtigen Leutnant aus, der doch sonst immer an ihm zu erkennen war.
    Die Ärzte haben es erlaubt, sagte auch er. Aber seien Sie vorsichtig.
    Vorsichtig wozu? Für ihr weiteres Leben – ohne ihn? Vielleicht? Es ist kein Vielleicht in Georgs Augen zu lesen, nur ein Garnichts von fieberglänzenden grauen Kugeln.
    George?
    Ein Garnichts von Antwort. Unruhe und Abwesenheit. Sonst nichts. In der Abwesenheit erkennt sie noch den vertrautesten Zug an ihm. Seine völlige innere Abwesenheit, selbst wenn er bei ihr im Zimmer gesessen hatte. In Straßburg.
    George, mein George, hörst du mich? Ich bin aus Straßburg gekommen.
    Minna? Will er Minna sagen?
    Es ist ja Minnas Stimme, und diese Stimme und das Wort Straßburg tragen zusammen die Farbe der Helligkeit, streifen über sein Gesicht.
    Minna! Piccola mia, wo warst du denn?
    »Georg, Georg, erkennst du mich?«
    »Ei warum nicht, du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau.«
    In dieser Nacht war über Zürich stundenlang ein Nordlicht zu sehen, von feuerroter Farbe. Endlich wurde es von einer weißen, dann von einer dunklen Kugel durchschnitten und löste sich nach Mitternacht auf.
    Es gab für Büchner keine Aussicht auf
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