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Buddha-Boy

Buddha-Boy

Titel: Buddha-Boy
Autoren: Jordan Sonnenblick
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vorgeben, einmalig zu sein.
    Einmalig? Die Idee war so verrückt, dass es hätte klappen können. Aber was war so einmalig an mir? Ich war Chinese. Ich war adoptiert worden. Ich hatte eine verkorkste Familie. Ich hatte Angst vor Insekten, vor allem vor Spinnen. Keine dieser Eigenschaften sprang hoch und schrie: »SCHAUT HER! ICH BIN EIN STAR!« Ich überlegte, welche herausragende Begabung ich hatte. Aber weil ich jedes Jahr die Interessen wechseln musste, besaß ich nur eine Sammlung von halb lahmen Halbtalenten. Und mit »Du müsstest mich mal fast Geige spielen hören!« oder »Schau dir mal an, wie ich ganz toll mit zwei Gegenständen jonglieren kann!« würde ich mich wohl kaum besonders hervortun können.
    Ich dachte den Rest des Tages darüber nach. Das war viel schwieriger, als herauszufinden, wie man der Masse folgt. Anders zu sein oder zu tun, als wäre man anders, erfordert Kreativität. Über die ich offensichtlich nicht verfügte, sonst hätte ich nichts ERFINDEN müssen, um aus der Masse herauszuragen. Wie das Beatles-Mädchen. Man brauchte es nur einmal anzuschauen und schon war klar, dass es einen anderen Trommler hörte. Vielleicht sogar einen, der auf einem Kamm blies. Was weiß ich? Vielleicht tanzte es zur Farbe eines anderen Geruchs? Es war jedenfalls komplett anders.
    Beispiel: Mittagspause in der Cafeteria. Das Beatles-Mädchen war an zwei Tagen hintereinander aufgetaucht, hatte einen Hocker bis ans Ende der Schlange gezerrt, gleich neben der Kasse, einen offenen Gitarrenkoffer vor sich hingestellt und angefangen, alte Folksongs zu singen. Und sie war echt, echt gut! Ihre Finger flogen über die Saiten und ihre helle Stimme übertönte das Geklapper im Raum. An beiden Tagen begann sie mit einem Song, den ich noch nie gehört hatte, aber nach dem zweiten Mal hatte ich ihn schon im Kopf.
    An einigen Schulen, auf denen ich war, wäre das Beatles-Mädchen total ignoriert worden. An anderen hätte man sich über sie lustig gemacht. An ein oder zwei Schulen hätte man ihr vielleicht Spaghettisoße in den Gitarrenkoffer gegossen. Aber hier standen die Schüler nur herum, hörten ihr zu und ein paar warfen ihr Kleingeld in den Kasten.
    Ich war so begeistert, dass ich am zweiten Tag sogar meinen sicheren Platz in der Ecke verließ, den ich zwischen den Tischen der Schachasse und den Klarinettenspielern ergattert hatte, und zu ihr ging, um sie zu beobachten. Ihre Haare hingen ihr wie ein Vorhang vors Gesicht. Ab und zu, zwischen den Strophen, versuchte sie, ein paar Strähnen aus den Augen zu blasen. Dann zuckte sie leicht mit den Achseln und der Vorhang schloss sich wieder über ihrer Brille.
    Plötzlich wurde mir klar, dass ich das Mädchen liebte. Auf seiner Gitarre klebte ein Riesensticker, auf dem DIESE MASCHINE TÖTET FASCHISTEN stand. Okay, so ganz genau wusste ich nicht, was ein Faschist war. Ich wusste auch nicht, wie das Mädchen hieß und so. Und es bettelte ganz offensichtlich in der Cafeteria einer Mittelschule um Kleingeld. Aber trotzdem – echt – das Beatles-Mädchen hatte wirklich was drauf.
    Ein Glück, dass ich sein Herz wahrscheinlich schon erobert hatte, als ich beim ersten Treffen rückwärts vom eigenen Stuhl fiel. Mädchen stehen auf solche höflichen, männlichen Gesten. Jetzt brauchte ich die Gitarrenspielerin nur noch anzusprechen und sie würde mit ziemlicher Sicherheit dahinschmelzen und in meine muskulösen Arme sinken.
    Meine durchschnittlichen Arme.
    Okay, meine völlig unbehaarten, hühnerbeinmageren Arme.
    Vorher musste ich mir aber noch überlegen, wer ich in diesem Jahr eigentlich war. Auf jeden Fall was Besonderes.
    Nach drei Songs wurde dem Beatles-Mädchen anscheinend klar, dass es ein paar von unseren kostbaren vierundzwanzig Minuten Mittagspause mit Essen verbringen sollte. Es hörte plötzlich auf zu spielen, sprang hoch, schnappte sich die Münzen aus dem Kasten und legte seine Faschisten tötende Maschine rein. Nachdem die Musikerin die kleinen Schnappverschlüsse am Gitarrenkoffer runtergedrückt hatte, zog sie ihren Hocker und den Kasten an den nächsten Tisch. Ich versuchte halbherzig, Augenkontakt zwischen uns herzustellen – falls man das Starren auf ihre Sandalen beim Vorüberschreiten zur Schlange am Tresen als einen Versuch dieser Art gelten lassen kann. Hey, sie trug Sandalen, genau wie ich! Wir
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