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Buch des Flüsterns

Buch des Flüsterns

Titel: Buch des Flüsterns
Autoren: Varujan Vosganian
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Seferians Gruft verengt, oder aber die Gruft hatte sich über die ganze neue Welt ausgedehnt. Dann kam Arșag, der Glöckner, herein. Weil er Großvater Garabet nicht hören und an seinen Lippenbewegungen nichts Besonderes erkennen konnte, weil es vielleicht zu dunkel war oder Großvater sprach, ohne die Lippen zu bewegen, legte Arșag ihm die Hände auf die Brust und nahm seine Vibrationen auf.
    Er glaubt, er sei eine Glocke, sagte Arșag und zeigte seine Hände vor.
    Er glaubt, ich sei Anton Merzian, sagte Krikor Minasian, der andere Schuster von der Großen Straße der Vereinigung.
    Er glaubt, ich sei Krikor Minasian, sagte Anton Merzian, als er herauskam. Was aus der Perspektive des Todes das Gleiche ist, nicht wahr?
    Als Ohanes Krikorian eintreten wollte, hielt Pfarrer Baronian ihn zurück, erhob, Zeige- und Mittelfinger zum Zeichen des Erzengels Michael vereint, die rechte Hand.
    Lass die anderen eintreten, sagte Archimandrit Baronian. Du bist schon tot, was geht es dich an, was er sagt?
    Aber ich will nicht hören, was er sagt, flüsterte Ohanes Krikorian. Ich will mit ihm sprechen. Ich sehne mich danach, ihn zu sehen.
    Dafür musst du noch etwas Geduld haben. Alles andere möge Gott dir vergeben!
    Dann ging Ivănucă Ibrăileanu hinein, der noch schnell einmal an der Zigarette gezogen hatte, bevor er sich erhob: Damit ihm klar ist, dass ich gekommen bin.
    Er glaubt, ich sei sein Vater, der alte Kevork, den wir ohnehin nicht gekannt haben, sagte er, und niemand fragte ihn, wie er dies habe verstehen können, wenn Großvater Garabet ihn für seinen Vater gehalten hatte, so hatte er ganz gewiss Armenisch oder Türkisch gesprochen.
    Vrej Papazian blieb länger drin. Er hatte während des Wartens etwas Mut bekommen oder, da er ein seelenguter Mensch war, geduldiger zugehört. Als er herauskam, schauten sie ihn neugierig an.
    Er glaubt, er habe verstanden, sagte er.
    Agop Aslanian, der Sohn des Pfarrers Dagead, kam verstört heraus.
    Er glaubt, ich sei er, sagte er und bat mit den Blicken um Beistand.
    Dann ging Sahag Șeitanian hinein.
    Er glaubt, dass er er selbst ist!
    Dann ist es an der Zeit, sagte der junge Archimandrit Zareh Baronian.
    Er ging hinein, gab ihm die Letzte Ölung und befreite ihn.
    So starb mein Großvater Garabet Vosganian in der Nacht vom 27. auf den 28. November 1968 vorbereitet.
    Wir Kinder wurden vor der Beerdigung nicht in das Haus der Großeltern gelassen. Tante Armenuhi hatte uns in ihr Haus auf der anderen Straßenseite aufgenommen. Über diese Tage und über Großvater weiß ich nur, dass auf unerklärliche Weise immer noch Schweißtropfen auf seine Stirn traten, was Doktor Zilbermann bis zu dem Zeitpunkt, da die Anzeichen des Todes offensichtlich wurden, hatte annehmen lassen, es handle sich lediglich um einen klinischen Tod. Aber so etwas entsprach nicht Großvaters Wesen.
    Aufgrund dieses Schweißes, der anfangs heiß war und danach auch nicht so kalt, wie er es hätte sein müssen, ist ein guter Teil seines Leibes schlicht und einfach verdunstet, wie in der Sonne stehengebliebenes Wasser. Erst einige Zeit später, als ich half, meinen anderen Großvater, Setrak Melichian, in den Sarg zu betten, erinnerte ich mich daran, was mit Großvater Garabet während seines Sterbens geschehen war; er war leicht wie ein Vogel, seine Knochen waren porös und zerbrechlich geworden. Und die Vögel hatten Wache gehalten. Sie haben sich erst viel später wieder zerstreut, auf die Bäume im Friedhof und danach zum Lagerschuppen am Bahnhof, wo zwischen zwei Lokomotiven Waggons mit Getreide standen.
    Der Leichenzug begann an der armenischen Kirche und zog über den Weg des Schreins auf die Gerberstraße und dann über den Bahndamm. Da Mantu gestorben war und seine Bläser auseinandergegangen waren, gab es niemanden, der den Rauch geteilt hätte, die von unten her wabernden Rauchschwaden daran gehindert hätte, sich zu erheben, und die vom Himmel herabströmenden, sich niederzulassen, sodass die Stadt an jenem letzten Herbsttag des Jahres 1968 in einen feinen Dunst eingehüllt war. Wie ich so hinter dem Lastwagen einherging, auf dem der Sarg auf einem für solche Anlässe, wie mir schien, etwas zu bunten Teppich stand, hatte ich den Eindruck, an etwas noch nie Dagewesenem teilzuhaben, einem gewaltigen Umzug, den die ganze Welt mit angehaltenem Atem betrachtet. Ich war schmerzerfüllt, aber ich war auch stolz auf mein kindliches Leid und darauf, dass die Leute auf dem Bürgersteig stehen blieben, die
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