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Brunetti 18 - Schöner Schein

Brunetti 18 - Schöner Schein

Titel: Brunetti 18 - Schöner Schein
Autoren: Donna Leon
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Porzellan und Silberbesteck und einem wahren Blütenmeer - musste er an die letzte Mahlzeit denken, die er nur zwei Wochen zuvor in diesem Haus eingenommen hatte. Er war vorbeigekommen, um der Contessa, mit der er seit Jahren Lektüre austauschte, zwei Bücher zu bringen, und hatte seinen Sohn bei ihr angetroffen. Raffi hatte erklärt, er wolle seinen Italienischaufsatz abholen, den seine Großmutter sich angesehen habe.
    Die beiden hatten im Arbeitszimmer gesessen, nebeneinander am Schreibtisch der Contessa. Vor ihnen lag Raffis Aufsatz, die acht Seiten über und über bedeckt mit Kommentaren in drei verschiedenen Farben. Links davon stand ein Teller mit Sandwiches, oder eher das, was einmal ein Teller mit Sandwiches gewesen war. Während Brunetti die Reste aß, erklärte die Contessa ihr System: Rot für Grammatikfehler, Gelb für alle Formen des Verbs essere und Blau für sachliche Fehler und Fehlinterpretationen.
    Raffi, der eher ungehalten reagierte, wenn Brunetti seinen historischen Ansichten widersprach oder Paola seine Grammatik korrigierte, schien vollständig davon überzeugt zu sein, dass seine Großmutter wusste, was sie tat, und tippte ihre Vorschläge eifrig in seinen Laptop, während Brunetti die Erläuterungen aufmerksam mitverfolgte.
    Paola riss ihn aus diesen Erinnerungen: »Such nach deinem Namen«, flüsterte sie. Tatsächlich, vor jedem Gedeck war eine kleine, handbeschriftete Karte aufgestellt.
    Rasch fand er die seine und stellte beruhigt fest, dass Paola links von ihm sitzen sollte, zwischen ihm und ihrem Vater. Er sah sich am Tisch um, inzwischen hatten alle ihren Platz gefunden. Jemand, der mit der Etikette der Tischordnung vertrauter wäre, hätte mit Entsetzen registriert, wie nah die Ehefrauen bei ihren Männern platziert waren. Nur die Tatsache, dass Conte und Contessa einander an den Enden des rechteckigen Tischs gegenübersaßen, hätte das Schicklichkeitsgefühl eines solchen Beobachters ein wenig besänftigen können. Der Anwalt des Conte, Renato Rocchetto, rückte der Contessa den Stuhl zurecht. Als sie saß, nahmen zunächst die anderen Frauen Platz, dann die Männer.
    Brunetti unmittelbar gegenüber saß Cataldos Frau. Ihr Mann sagte etwas, und sie neigte sich zu ihm hinüber, den Kopf fast an seinen gelehnt, aber Brunetti wusste, damit war das Unvermeidliche nur ein wenig hinausgeschoben. Paola widmete sich kurz Brunetti, murmelte »Coraggio« und tätschelte sein Knie.
    Als Paola ihre Hand wegnahm, lächelte Cataldo seiner Frau zu und wandte sich an Paola und ihren Vater; Franca Marinello sah Brunetti an. »Es ist schrecklich kalt, finden Sie nicht?«, begann sie, und Brunetti machte sich auf eine dieser typischen Essensunterhaltungen gefasst.
    Bevor ihm eine hinreichend nichtssagende Erwiderung einfiel, ergriff die Contessa das Wort: »Ich hoffe, es stört niemanden, wenn es zu dieser Mahlzeit kein Fleisch gibt.« Sie blickte lächelnd in die Runde und fügte in einem halb belustigten, halb verlegenen Ton hinzu: »Aufgrund der Essgewohnheiten meiner Familie und weil ich es versäumt habe, jeden Einzelnen von Ihnen anzurufen und nach den seinen zu fragen, hielt ich es für das Einfachste, auf Fleisch und Fisch ganz zu verzichten.«
    »›Essgewohnheiten‹?«, flüsterte Claudia Umberti, die Frau des Anwalts. Sie schien aufrichtig verwirrt, und Brunetti, der neben ihr saß und sie und ihren Mann oft genug bei Familienessen erlebt hatte, wusste, dass für sie die einzige Essgewohnheit der ausgedehnten Falier-Familie - von Chiaras wenig konsequentem Vegetariertum einmal abgesehen - von jeher in reichlichen Portionen und mächtigen Nachspeisen bestand.
    Zweifellos, um ihre Mutter davor zu bewahren, bei einer so krassen Lüge ertappt zu werden, erklärte Paola in das allgemeine Schweigen hinein: »Ich ziehe es vor, kein Rind zu essen; meine Tochter Chiara isst weder Fleisch noch Fisch - jedenfalls diese Woche; Raffi isst nichts Grünes und mag keinen Käse; und Guido«, sagte sie und legte ihm eine Hand auf den Arm, »isst überhaupt nichts, es sei denn, er bekommt eine große Portion.«
    Alle am Tisch lachten beifällig, und Brunetti gab Paola zum Beweis seiner Gutmütigkeit und Fairness einen Kuss auf die Wange, nahm sich aber vor, eisern abzulehnen, falls man ihm einen Nachschlag anbieten sollte. Lächelnd sah er sie an und flüsterte: »Was soll das Ganze eigentlich?«
    »Sag ich dir später«, antwortete sie und wandte sich mit einer höflichen Frage an ihren Vater.
    Franca
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