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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
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gleichzeitig und so geschmeidig und routiniert, daß es niemandem auffiel, die rechte Hand aus der Tasche und zückten jeder eine Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer. Der Größere feuerte zuerst, doch man hörte nichts weiter als ein dumpfes Tock, Tock, Tock, begleitet vom zweifachen Echo aus der Waffe seines Gefährten. Die Straßenmusikanten waren unterdessen ans Ende des Allegros gelangt, und ihre Instrumente im Verein mit den Zurufen und dem Gejohle des sie umringenden Publikums verschluckten die Schüsse buchstäblich, auch wenn die Afrikaner zu beiden Seiten der Gasse sofort darauf reagierten.
    Seine Schwungkraft trug den jungen Taschenverkäufer noch ein Stück weit von seinem Tuch fort; dann erschlaffte die Bewegung allmählich. Die zwei Männer, die ihre Waffen blitzschnell wieder eingesteckt hatten, entfernten sich rückwärts durch die Menge, die ihnen höflich Platz machte. Gleich darauf trennten sie sich: Einer lief zur Accademia-Brücke, der andere Richtung Santo Stefano und Rialto, und im Nu verschwanden beide im Strom der hin und her eilenden Passanten.
    Der junge Afrikaner stieß einen Schrei aus und riß den Arm hoch. Einmal noch drehte sein Körper sich halb um die eigene Achse, dann stürzte der Mann inmitten seiner Taschen zu Boden.
    Wie aufgescheuchte Gazellen, die beim ersten Gefahrenzeichen in panischer Angst das Weite suchen, erstarrten seine Kollegen eine Schrecksekunde lang, um dann um so ungestümer auszubrechen. Vier von ihnen ließen ihre Waren einfach im Stich und rannten wie gehetzt in die calle zum Markusplatz; zwei nahmen sich die Zeit, mit jeder Hand vier oder fünf Taschen zusammenzuraffen, bevor sie über die Brücke zum Campo San Samuele verschwanden; die vier übrigen ließen alles stehen und liegen und flohen in Richtung Canal Grande, wo sie eine andere Händlergruppe aufschreckten, über deren am Fuß der Brücke plazierte Tücher sie hinwegpreschten, bevor sie auseinanderstoben und in den calli von Dorsoduro abtauchten.
    Drüben auf dem Weihnachtsmarkt hatte eine weißhaarige Frau, die direkt vor seiner Auslage stand, mit angesehen, wie der junge Schwarze zusammenbrach. Sie rief nach ihrem Mann, der ein Stück weit abgedrängt worden war, und kniete neben dem Gestürzten nieder. Das Tuch, auf dem er lag, tränkte sich mit dem Blut, das unter dem Körper hervorsickerte.
    Als der Mann seine Frau rufen hörte und sie zu Boden gleiten sah, drängte er sich erschrocken zu ihr durch. Erst als er beschützend den Arm um sie legte, sah er den Afrikaner in seinem Blut liegen. Lange, bange Sekunden tastete er nach dem Puls des Mannes, dann ließ er die Hand sinken und erhob sich mühsam; die altersschwachen Knie wollten nicht mehr so recht. Noch einmal bückte er sich, um seiner Frau aufzuhelfen.
    Suchend blickten die beiden um sich, sahen aber nur die Mitglieder ihrer Reisegruppe, die verständnislos von einem zum anderen und dann wieder auf den Mann zu ihren Füßen starrten. Am Boden ausgebreitet, lagen die verlassenen Tücher, zumeist noch mit den gefällig zur Schau gestellten Taschen bestückt. Die Musikanten drüben hörten auf zu spielen, als ihre Zuhörer sich einer nach dem anderen abwandten.
    Es dauerte noch einige Minuten, bis der erste Italiener hinzukam. Sobald er den Schwarzen am Boden liegen sah, dazu das blutige Tuch, zog er sein telefonino aus der Manteltasche und wählte 113.

2
    D ie Polizei rückte in einem Tempo an, das die italienischen Zuschauer verblüffte, die Amerikaner dagegen empörte. Eine halbe Stunde, um ein Boot zu ordern und einen Trupp Beamte samt Spurensicherung zum Campo Santo Stefano zu befördern, erschien den Venezianern nicht lange, doch da waren die meisten Amerikaner schon entnervt auf und davon, nachdem sie untereinander vereinbart hatten, daß man sich im Hotel wiedertreffen werde. Niemand fühlte sich bemüßigt, den Tatort im Auge zu behalten, und folglich waren, als die Polizei endlich eintraf, die meisten Taschen von den Tüchern verschwunden, sogar von dem mit der Leiche. Einige von denen, die den Toten bestohlen hatten, hinterließen rote Fußspuren auf seinem Tuch; ein Paar davon verlor sich als blutige Fährte in Richtung Rialto.
    Alvise, der erste Beamte am Tatort, befahl der kleinen Menschentraube, die immer noch um den Toten versammelt war, zurückzutreten. Dann näherte er sich der Leiche und betrachtete sie, als wisse er nicht recht, was jetzt, da er das Opfer vor sich sah, zu tun sei. Endlich bat ihn ein Kriminaltechniker,
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