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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
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staunte im ersten Moment über die tiefschwarze Haut, wunderte sich dann aber über sich selbst: Was hatte er bei einem Afrikaner anderes erwartet? Im Unterschied zu den schwarzen Amerikanern, die er kannte und deren Schattierung von Kakao bis Kupfer reichte, wirkte die Haut dieses Mannes wie auf Hochglanz poliertes Ebenholz.
    Gemeinsam griffen Brunetti und Rizzardi unter den Leichnam und drehten ihn auf den Rücken. Die frostige Kälte hatte das ausgetretene Blut rasch gerinnen lassen. Mit den Knien hielten die beiden das Tuch, auf dem der Tote lag, am Boden fest. Doch als sie ihn anhoben, blieben Jacke und Tuch aneinander haften und lösten sich mit einem satten Schmatzlaut vom Pflaster. Bei dem Geräusch ließ Rizzardi die Schulter des Mannes wieder zu Boden gleiten; stumm folgte Brunetti seinem Beispiel.
    Blutversteifte Stoffzacken auf der Brust des Toten erinnerten makaber an die Garnierung einer Geburtstagstorte durch einen phantasievollen Konditor.
    »Verzeihung«, sagte Rizzardi - ob zu Brunetti oder dem Toten, blieb ungewiß. Immer noch kniend, beugte er sich vor und betastete mit behandschuhten Fingern eins nach dem anderen die Löcher im Parka. »Fünf Einschüsse«, murmelte er. »Die wollten offenbar ganz sichergehen.«
    Brunetti sah, daß die Augen des Toten offenstanden; ebenso wie sein Mund, der im panischen Aufschrei beim ersten Schuß erstarrt schien. Er war ein gutaussehender junger Mann, dessen blendendweiße Zähne in auffallendem Kontrast zum schwarzglänzenden Teint standen. Brunetti schob eine Hand in die rechte, dann in die linke Tasche des Parkas und förderte etwas Kleingeld und ein gebrauchtes Taschentuch zutage. In der Innentasche fanden sich ein Schlüsselbund und ein paar kleine Euroscheine. Außerdem eine ricevuta fiscale von einer Bar in San Marco, wahrscheinlich eins der Lokale hier auf dem campo. Sonst nichts.
    »Wer sollte einen vucumprà umbringen wollen?« fragte Rizzardi und erhob sich. »Als ob es für die armen Teufel nicht so schon schwer genug wäre.« Forschend betrachtete er den Toten. »Welche Kugel tödlich war, kann ich zwar erst nach der Obduktion sagen, aber von den drei Einschüssen in der Herzgegend hätte sicher jeder einzelne ausgereicht, ihn ins Jenseits zu befördern.« Und während er seine Handschuhe in die Tasche steckte, fragte Rizzardi noch: »Glaubst du, es war ein Profikiller?«
    »Sieht ganz danach aus«, antwortete Brunetti. Was diesen Mord nur noch rätselhafter machte. Dienstlich hatte er sich bisher noch nie mit den vucumprà zu befassen brauchen, da Gewaltverbrechen in ihren Reihen höchst selten vorkamen, und diese wenigen Fälle waren immer in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Kommissariats gefallen. Wie die meisten Polizisten, ja wie der Großteil der Bevölkerung hatte auch Brunetti angenommen, daß die Senegalesen von einem Kartell des organisierten Verbrechens in Schach gehalten wurden. Womit oftmals ihr so überaus höfliches Auftreten in der Öffentlichkeit begründet wurde: Solange sie nicht unangenehm auffielen, würde sich kaum jemand die Mühe machen nachzuforschen, wie sie es anstellten, für die Behörden quasi unsichtbar und daher unbehelligt zu bleiben. Brunetti selbst hatte mit den Jahren aufgehört, sie zu bemerken, und erinnerte sich kaum noch, wann die Senegalesen die ursprünglichen vucumprà - französischsprachige Algerier und Marokkaner - ersetzt hatten.
    Ungeachtet gelegentlicher Razzien und Ausweiskontrollen hatte man die vucumprà nie so wichtig genommen, als daß sie Opfer von Vice-Questore Pattas berüchtigten Großeinsätzen geworden wären. Obwohl sie sich illegal in Italien aufhielten und obendrein Schwarzarbeit betrieben, ließen die Ordnungskräfte sie nahezu ungehindert ihrem Gewerbe nachgehen und vermieden so das bürokratische Fiasko, das unweigerlich entstanden wäre, hätte man ernsthaft versucht, Hunderte von Ausländern ohne gültige Papiere auszuweisen und in den Senegal zurückzuschicken, wo die meisten von ihnen mutmaßlich herstammten.
    Warum aber dann dieser brutale Mord, der unverkennbar den Stempel des Profikillers trug?
    »Wie alt schätzt du ihn?« fragte Brunetti, um das lange Schweigen zu beenden.
    »Ich weiß nicht.« Rizzardi schüttelte ratlos den Kopf. »Bei Schwarzen kann ich das schwer beurteilen, solange ich sie nicht inwendig sehe, aber ich tippe auf Anfang Dreißig, vielleicht auch jünger.«
    »Hast du Zeit?«
    »Gleich morgen früh. Reicht das?«
    Brunetti nickte.
    Rizzardi
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