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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
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der Brücke her und sind hier entlanggegangen. Alle haben bei den vucumprà haltgemacht und sich ihre Taschen angeschaut.«
    »Und Sie, Signora?«
    Die Alte bewegte ihren Stock ein paar Millimeter nach links. »Ich bin in die Bar gegangen.«
    »Wie lange haben Sie sich dort aufgehalten, Signora?«
    »Lange genug.«
    »Lange genug wofür?« fragte Brunetti lächelnd und keineswegs verärgert über ihre unklare Antwort.
    »Wissen Sie, kurz nach acht sammelt Barbara - ihr gehört die Bar - alle unverkauften tramezzini ein und stellt sie, in kleine Stücke zerteilt, auf die Theke. Wer etwas zu trinken bestellt, darf davon essen, so viel er mag.«
    Das überraschte Brunetti, der solche Großzügigkeit von Barbesitzern, ja von Besitzern überhaupt nicht gewohnt war.
    »Sie ist ein braves Mädchen, die Barbara«, fuhr die Alte fort. »Und ich habe schon ihre Mutter gekannt.«
    »Und wie lange ungefähr waren Sie in der Bar, Signora?« fragte Brunetti.
    »Etwa eine halbe Stunde«, antwortete die Alte und setzte erklärend hinzu: »Das ist mein Abendessen, wissen Sie. Ich gehe jeden Abend in die Bar.«
    »Gut zu wissen, Signora. Ich werde dran denken, falls ich mal wieder in die Gegend komme.«
    »Sie sind doch jetzt da«, entgegnete die Alte, und als er nicht darauf einging, fuhr sie fort: »Die Amerikaner sind auch reingegangen. Also zwei von ihnen«, erläuterte sie und wies abermals mit erhobenem Stock auf die Bar.
    »Sie sitzen ganz hinten und trinken heiße Schokolade. Wenn es Ihnen paßt, könnten Sie die beiden jetzt gleich befragen.«
    »Ich danke Ihnen, Signora«, versetzte Brunetti und wandte sich der Bar zu.
    »Am besten schmecken die mit prosciutto und carciofi«, rief ihm die Alte nach.

3
    B runetti war schon seit Jahren nicht mehr in der Bar gewesen, nicht seit jenem kurzen Intermezzo, als eine amerikanische Eisdiele dort Einzug gehalten und so mächtige Kalorienbomben angeboten hatte, daß er nach einmaligem Verzehr unter heftigen Verdauungsbeschwerden litt. Es hatte, erinnerte er sich, fast so geschmeckt wie Schmalz, allerdings nicht das salzige Schweineschmalz aus seiner Kindheit, das dazu diente, einen Topf Bohnen oder Linsensuppe geschmacklich abzurunden, sondern so, wie pures Schmalz schmecken würde, wenn man es mit Zucker und Erdbeeren versetzt.
    Seine Mitbürger hatten das offenbar ähnlich empfunden, denn schon nach kurzer Zeit war der nächste Besitzerwechsel erfolgt. Doch Brunetti war seitdem nicht mehr hergekommen. Inzwischen waren die Eiströge verschwunden, und das Café präsentierte sich wieder im Stil einer italienischen Bar. Die Gäste, die an der geschwungenen Theke standen, unterhielten sich lebhaft und deuteten oft nach draußen, auf den jetzt verlassenen campo. Ein paar andere saßen an kleinen Tischen, die den Durchgang zum hinteren Teil des Lokals säumten. Von den drei Frauen hinter der Bar grüßte eine den eintretenden Brunetti mit einem freundlichen Lächeln. Er ging nach hinten durch und sah am letzten Tisch links ein älteres Paar sitzen. Daß es Amerikaner waren, erkannte man auf den ersten Blick; fehlte nur noch das Sternenbanner. Im übrigen konnte Brunetti sich des wunderlichen Eindrucks nicht erwehren, die beiden hätten ihre Kleider vertauscht. Die Frau trug ein kariertes Flanellhemd und ein Paar dicke Wollhosen, der Mann einen rosa Pulli mit V-Ausschnitt, dunkle Hose und weiße Tennisschuhe. Beide hatten offensichtlich denselben Friseur. Die Haare der Frau waren nicht eigentlich länger als die ihres Mannes: Sie waren nur nicht ganz so kurz.
    »Verzeihen Sie«, sagte Brunetti auf englisch, als er an Ihren Tisch trat. »Aber darf ich fragen, ob Sie vorhin draußen auf dem campo waren?«
    »Als der schwarze Händler getötet wurde?« fragte die Frau zurück.
    »Ja«, bestätigte Brunetti.
    Der Mann zog Brunetti einen Stuhl heran und blieb mit altmodischer Galanterie stehen, bis der Commissario Platz genommen hatte. »Ich bin Guido Brunetti, von der venezianischen Polizei«, stellte Brunetti sich vor. »Und ich interessiere mich für alles, was Sie dort draußen gesehen haben.«
    Die beiden Amerikaner hatten typische Seefahrergesichter: ständig blinzelnde, zusammengekniffene Augen, tiefe Falten in der von zuviel Sonne gegerbten Haut und jenen klaren Blick, der auch durch schwere See nicht zu erschüttern ist.
    Der Mann streckte die Hand aus und sagte: »Ich bin Fred Crowley, und das ist meine Frau Martha.« Als er Brunettis Hand losließ, überraschte die Frau den
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