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Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
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Commissario«, antwortete der Polizist. »Die Kälte, wissen Sie.«
    Brunetti verscheuchte hastig das groteske Bild, das diese Bemerkung heraufbeschwor, und wies den Polizisten an, um Mitternacht in der Questura anzurufen und die Kollegen daran zu erinnern, ihm um ein Uhr die Ablösung zu schicken. Dann gab er dem jungen Mann Gelegenheit, noch einen Kaffee zu trinken, bevor die Bar schloß, und hielt solange für ihn Wache.
    Als der uniformierte Beamte zurückkam, instruierte ihn Brunetti: Sofern ihm andere vucumprà begegneten, solle er diese vom Tod ihres Kollegen unterrichten und sie auffordern, etwaige Informationen über ihn umgehend der Polizei zu melden. Er müsse, schärfte Brunetti ihm ein, den Leuten unbedingt klarmachen, daß sie weder ihre Personalien anzugeben noch auf der Questura vorstellig zu werden bräuchten, sondern daß es der Polizei ausschließlich um den toten Afrikaner gehe.
    Als nächstes rief der Commissario über sein telefonino in der Questura an und wiederholte die Anweisungen, die er eben dem jungen Beamten am Tatort gegeben hatte; er betonte auch hier, daß freiwillige Zeugen anonym bleiben dürften, verlangte aber, jeden Anruf, der den Mord auf dem Campo Santo Stefano betraf, mitzuschneiden. Ein zweiter Anruf galt den Carabinieri. Und obwohl er sich diesmal über seine Amtsbefugnis nicht im klaren war, forderte Brunetti abermals Unterstützung sowie Diskretion gegenüber freiwilligen Zeugen. Und als der Maresciallo beides zusicherte, bat er auch ihn, sachdienliche Anrufe aufzuzeichnen. Der Maresciallo gab ihm sein Wort, dämpfte jedoch seine Hoffnungen, was die Informationsbereitschaft der vucumprà betraf.
    Danach blieb vorerst nichts weiter zu tun; also wünschte Brunetti dem jungen Beamten einen guten Abend, der hoffentlich nicht noch kälter werden würde, und machte sich, nachdem er entschieden hatte, daß er um die Zeit zu Fuß schneller vorankäme, via Rialto auf den Heimweg.

4
    P aola stand vor Staunen der Mund offen; sie fürchtete, all ihre pädagogischen Bemühungen seien kläglich gescheitert und sie habe statt eines Kindes ein Monster großgezogen. Fassungslos starrte sie ihre Tochter an; konnte es sein, daß ihr Baby, ihr heller, strahlender Engel vom Teufel besessen war?
    Bis hierher war das Abendessen ganz normal verlaufen, sofern eine durch Mord verzögerte Mahlzeit Normalität überhaupt zuläßt. Brunetti, der, wenige Minuten bevor sie sich zu Tisch setzten, abberufen worden war, hatte kurz nach neun telefoniert und sie noch eine Weile vertröstet. Das Gejammer der Kinder, sie seien fast am Verhungern, hatte unterdessen Paolas Widerstand so weit erschöpft, daß sie nur das Essen für sich und Guido warm stellte, Raffi und Chiara dagegen sofort verköstigte. Sie setzte sich zu ihnen an den Tisch und nippte lustlos an einem Prosecco, der allmählich warm und schal wurde, während die Kinder riesige Mengen Auflauf aus Polenta, Ragout und Parmigiano vertilgten. Hinterher gab es zwar lediglich geschmorten Radicchio mit einer dicken Schicht stracchino, aber Paola wunderte sich, daß die beiden nach diesem üppigen Hauptgang überhaupt noch Appetit hatten.
    »Warum muß er immer zu spät kommen?« nörgelte Chiara, während sie nach dem Radicchio griff.
    »Er kommt nicht immer zu spät«, wandte Paola nüchtern ein.
    »Scheint aber so«, entgegnete Chiara. Sie wählte zwei besonders lange Stengel aus, hievte sie auf ihren Teller und löffelte ausgiebig geschmolzenen Käse darüber.
    »Er hat versprochen, daß er so bald wie möglich heimkommt.«
    »Es ist aber doch nicht so furchtbar wichtig, oder? Ich meine, daß er so lange wegbleiben muß?« maulte Chiara.
    Da die Kinder wußten, warum man ihren Vater geholt hatte, konnte Paola sich Chiaras Einwand nicht erklären.
    »Ich dachte, ich hätte euch gesagt, daß jemand ermordet wurde«, versetzte sie nachsichtig.
    »Ja, aber doch bloß ein vucumprà«, erwiderte Chiara und nahm ihr Messer zur Hand.
    Es war diese Bemerkung, bei der Paola der Mund offen stehenblieb. Sie griff nach ihrem Glas, tat so, als nippe sie daran, und schob Raffi, der seiner Schwester anscheinend nicht zugehört hatte, den Radicchio hin. »Was meinst du denn mit ›bloß‹, Chiara?« fragte sie und stellte zufrieden fest, daß ihre Stimme dabei ganz unverfänglich klang.
    »Was ich gesagt habe, daß er eben keiner von uns war«, entgegnete ihre Tochter.
    Paola bemühte sich, aus Chiaras Antwort einen sarkastischen Beiklang herauszuhören oder aber
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