Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brunetti 14 - Blutige Steine

Brunetti 14 - Blutige Steine

Titel: Brunetti 14 - Blutige Steine
Autoren: Donna Leon
Vom Netzwerk:
Damit ging Brunetti in die Küche zurück und holte einen Falconera und zwei Gläser. Er entkorkte die Flasche, verzichtete auf die ganze lächerliche Etikette, wonach ein frisch geöffneter Wein erst atmen sollte, und kehrte kurzerhand mit der Flasche ins Wohnzimmer zurück. Hier setzte er sich Paola zu Füßen, stellte die Gläser auf den Couchtisch und schenkte beiden reichlich ein. Nachdem er Paola ihr Glas gereicht hatte, umfaßte er mit derselben Hand ihre linke Fessel. »Du hast kalte Füße«, stellte er fest, zog einen abgewetzten alten Kelim von der Sofalehne und deckte sie zu.
    Brunetti nahm einen so kräftigen Schluck, wie er der Größe des Glases angemessen war, und sagte: »Also, was ist passiert?«
    »Chiara hat sich beschwert, weil du so spät kommst, und als ich ihr sagte, es ginge schließlich um Mord, da entgegnete sie: aber bloß an einem vucumprà.« Paola sprach nüchtern, wie ein Reporter.
    »Bloß?« wiederholte Brunetti.
    »Ganz recht.«
    Brunetti nahm noch einen Schluck, stützte den Kopf an der Sofalehne ab und ließ den Wein in der Mundhöhle kreisen. »Hmmm«, brummte er endlich. »Alles andere als erfreulich, wie?«
    Er konnte Paola zwar von seinem Platz aus nicht sehen, merkte aber am Beben der Sofalehne, daß sie heftig nickte.
    »Glaubst du, sie hat das in der Schule aufgeschnappt?« fragte er.
    »Wo sonst? Um der Lega beizutreten, ist sie noch zu jung.«
    »Und sind es ihre Freunde, die solche Sprüche bei den Eltern aufgeschnappt haben, oder meinst du, das geht von den Lehrern aus?«
    »Ich fürchte, beides könnte zutreffen«, antwortete Paola.
    »Wahrscheinlich hast du recht«, stimmte Brunetti zu. »Und was hast du dazu gesagt?«
    »Daß ich ihre Bemerkung abscheulich fände und mich schämen würde, sie zur Tochter zu haben.«
    Lächelnd wandte er sich ihr zu und erhob sein Glas. »Mäßigung war schon immer deine Stärke, nicht?«
    »Was hätte ich denn tun sollen? Sie in einen Sensibilisierungskurs schicken oder ihr eine Predigt über Gleichheit und Brüderlichkeit halten?« Und mit neu aufflammender Empörung fuhr sie fort: »Nein, es ist abscheulich, und ich schäme mich für sie.«
    Immerhin beteuerte sie nicht eigens, daß ihre Tochter dergleichen zu Hause nie gehört habe, weshalb die Eltern auch nicht für Chiaras geistige Verirrung verantwortlich seien. Gott allein wußte, was den Kindern durch die Gespräche, die er und Paola in ihrem Beisein führten, vermittelt wurde; niemand konnte mit Bestimmtheit sagen, was Raffi und Chiara wohl in all den Jahren daraus gefolgert hatten. Brunetti sah sich gern als liberalen Zeitgenossen, der, wie die meisten Italiener, ohne rassistische Vorurteile erzogen worden war. Aber er war ehrlich genug einzuräumen, daß auch dieser Glaube womöglich nur auf einem der vielen nationalen Mythen fußte. Überdies war es nicht schwer, tolerant zu sein, wenn man in einer Gesellschaft aufwuchs, in der es nur einen verschwindend geringen Ausländeranteil gab.
    Sein Vater hatte die Russen gehaßt, und das aus gutem Grund, wie Brunetti immer geglaubt hatte - das heißt, sofern drei Jahre Kriegsgefangenschaft ein guter Grund waren. Er für seinen Teil hegte ein eingefleischtes Mißtrauen gegen seine Landsleute aus dem Süden, auch wenn ihm das ziemlich peinlich war. Viel mehr als sein Argwohn gegen Albaner und Slawen.
    Aber Schwarzafrikaner? Das war für ihn eine fast gänzlich unbekannte Spezies, weshalb er sich auch nicht vorstellen konnte, seine Kinder in irgendeiner Weise gegen sie beeinflußt zu haben. Nein, hier handelte es sich wohl eher um eine Art geistiger Kopfläuse, mit denen Chiara sich in der Schule angesteckt hatte.
    »Bleiben wir jetzt hier sitzen und streuen uns Asche aufs Haupt, weil wir unsere elterlichen Pflichten vernachlässigt haben, und büßen dann dafür, indem wir aufs Abendessen verzichten?« fragte er endlich.
    »Wäre eine Möglichkeit«, antwortete Paola ohne einen Funken von Humor.
    »Also ich fänd's übertrieben«, sagte er. »Entweder das eine oder das andere.«
    »Na schön«, lenkte sie ein. »Ich habe hier lange genug allein vor mich hin gebrütet, um Asche für zwei auf mein armes Haupt zu häufen. Da brauchen wir nicht auch noch zu fasten.«
    »Gut«, sagte er, trank seinen Wein aus und nahm die Flasche vom Tisch.
    Beim Essen wurde nach stillschweigender Übereinkunft nicht mehr über Chiaras Entgleisung gesprochen. Statt dessen erzählte Brunetti, was sich nach bisherigen Erkenntnissen am Campo Santo Stefano
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher