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Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune

Titel: Brunetti 10 - Das Gesetz der Lagune
Autoren: Donna Leon
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wohnte, fand den Mut zu tun, was sonst niemand zu tun gewillt war, nämlich den Ersatzschlüssel aus dem Versteck zu holen, das dem ganzen Dorf bekannt war: unter dem Topf mit rosa Geranien auf dem Fenstersims rechts von der Eingangstür. Unter lautem Rufen öffnete er die Tür und ging in das ihm vertraute Haus. Er knipste das Licht in dem kleinen Wohnzimmer an, und als er dort niemanden sah, ging er weiter zur Küche und warf auch dort einen Blick hinein, obwohl er nicht hätte sagen können, warum er das tat, denn der Raum war dunkel, und Marolo hielt sich gar nicht erst damit auf, Licht zu machen. Weiter die Namen der beiden Männer wie einen unmelodischen Gesang vor sich hin rufend, stieg Marolo die kurze Treppe hinauf ins obere Stockwerk und ging dort den Flur hinunter zu dem größeren der beiden Schlafzimmer.
    »Giulio, ich bin's, Renzo«, rief er, wartete einen Moment, ging dann in das Schlafzimmer hinein und knipste das Licht an. Das Bett war leer und unberührt. Beunruhigt überquerte er den Flur und knipste das Licht in Marcos Zimmer an. Auch hier waren, obwohl ein Paar Jeans und ein leichter Pullover zusammengefaltet auf einem Stuhl lagen, Bett und Zimmer leer.
    Marolo ging wieder hinunter, zog von draußen leise die Haustür zu und legte den Schlüssel an seinen Platz. Zu den wartenden Leuten sagte er: »Sie sind nicht da.«
    Irgendwie beruhigt durch den Umstand, daß sie zu mehreren waren, begaben sie sich gemeinsam zurück zum Wasser, wo die meisten Bewohner Pellestrinas inzwischen auf der Mole versammelt waren. Einige der Boote, die im tieferen Wasser Schutz gesucht hatten, kamen nun langsam zurück und nahmen ihre angestammten Plätze ein. Nachdem sie alle wieder an der riva, vertäut waren, wirkte die von der Squallus zwischen den beiden beschädigten Booten zurückgelassene leere Stelle größer denn je. Einzig die Masten der Squallus in der Mitte des leeren Liegeplatzes ragten seltsam schief aus dem Wasser.
    Marolos Sohn Luciano, sechzehn Jahre alt, kam und stellte sich neben seinen Vater. Irgendwo in der Ferne rief ein Wasservogel. »Was meinst du, papà?« fragte der Junge.
    Renzo hatte seinen Sohn in Marco Bottins Schatten -oder Kielwasser, um einen seemännischeren Ausdruck zu gebrauchen - aufwachsen sehen: Marco, ihm in der Schule immer um zwei Jahre voraus, war Gegenstand der Bewunderung und Nachahmung gewesen.
    Luciano hatte sich, vom Rufen seines Vaters geweckt, eine abgeschnittene Jeans angezogen, für ein Hemd blieb keine Zeit. Jetzt ging er näher ans Wasser und gab seinem Vetter Franco, der mit einer großen Taschenlampe in der linken Hand vorn in der Menge stand, ein Zeichen. Franco, den es verlegen machte, die Blicke aller versammelten Pellestrinotti auf sich zu ziehen, trat zögernd vor.
    Luciano streifte seine Sandalen ab und hechtete links neben der gesunkenen Squallus in die Fluten. Franco richtete den Strahl seiner Taschenlampe ins Wasser, wo sich der Körper seines Vetters so selbstverständlich wie ein Fisch bewegte. Eine Frau trat vor, dann noch eine, und zuletzt stand die ganze vorderste Reihe der Leute an der Kante der Mole und starrte nach unten. Zwei Männer, die ebenfalls Taschenlampen bei sich hatten, drängten sich nach vorn und halfen Franco beim Leuchten.
    Nach einer guten Minute, die einem wie eine Ewigkeit vorkam, tauchte Lucianos Kopf aus dem Wasser auf. Er schüttelte sich die Haare aus den Augen und rief seinem Vetter zu: »Leuchte mal nach hinten, zur Kabine«, und schon war er wieder verschwunden, untergetaucht mit der Behendigkeit einer Robbe.
    Die drei Taschenlampenstrahlen wanderten am Rumpf der Squallus entlang. Hin und wieder blitzte unten etwas Weißes auf: Lucianos Fußsohlen, das einzige an seinem Körper, das nicht von der Sonne fast schwarz gebrannt war. Ganz kurz verloren sie den Jungen, dann tauchten dessen Kopf und Schultern aus dem Wasser auf, und schon war er wieder fort. Noch zweimal kam er nach oben, um seine Lungen zu füllen und gleich wieder hinunterzutauchen zu dem Wrack. Endlich kam er ganz herauf, drehte sich auf den Rücken und schnappte keuchend nach Luft. Die Leute mit den Taschenlampen richteten diese von ihm weg und ließen ihn in Ruhe wieder zu Atem kommen, angeleuchtet nur noch von der Neugier der Zuschauer und dem heller werdenden Himmel.
    Dann plötzlich warf Luciano sich auf den Bauch und kam nach Hundeart zur Mole gepaddelt, was bei einem so guten Schwimmer wie ihm komisch wirkte. Sowie er die dort angenagelte Leiter
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